Leitsatz (amtlich)

Ist der Arbeitgeber im Kündigungsrechtsstreit mit einer Verdachtskündigung unterlegen, weil triftiger Tatverdacht nicht feststellbar sei, so kann er dem Arbeitnehmer, dem er wegen dessen Umgangs mit Geld und/oder Sachwerten (hier: „Abteilungsaufsicht” im Einzelhandel) nach allgemeinen zeugnisrechtlichen Grundsätzen den sogenannten „Ehrlichkeitsvermerk” schuldet, die Bescheinigung besagter Ehrlichkeit nicht deshalb verweigern, weil er seine subjektiven Zweifel daran nicht ausgeräumt sieht.

 

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, das Zeugnis vom 31. Mai 2011 dahingehend zu ergänzen, dass die Formulierung im 5. Absatz, letzter Satz, lautet: Herr W. war ein fleißiger, ehrlicher, gewissenhafter und zuverlässiger Mitarbeiter, der über umfassende Fachkenntnisse verfügt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 965,– Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Es geht um Ergänzung eines Arbeitszeugnisses (§ 109 GewO[1]). – Vorgefallen ist dies:

I. Der (heute [2]) 40-jährige Kläger trat im April 2010 zunächst gegen eine Monatsvergütung von 400,– Euro[3] als „Aushilfe”[4] in die Dienste des Beklagten, der mit einer nicht näher festgestellten Zahl von Mitarbeitern einen Betrieb des Lebensmittel-Einzelhandels unterhält. Per Juni 2010 avancierte er per Zeitvertrag zum 31. Mai 2011 zur „Abteilungsaufsicht”, wofür er bei 45 Wochenarbeitsstunden 1.930,– Euro (brutto) pro Monat empfangen sollte[5]. In der nach Erscheinungsbild und Diktion vom Beklagten gestellten Vertragsurkunde war eine Probezeit von sechs Monaten bestimmt.

II. Wie es den Parteien in der Folge miteinander erging, ist nicht im Einzelnen festgestellt, hier aber auch einerlei. Festzuhalten ist jedoch dies:

1. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 8. November 2010 [6] unter Berufung auf die vorerwähnte Probezeit zum Ablauf des 22. November 2010 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt hatte, kam es zum Rechtsstreit über deren Wirksamkeit. Am 26. April 2011 entschied die Kammer 34 des Arbeitsgerichts Berlin, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet; dieses ende vielmehr kraft Fristablaufs erst mit dem 31. Mai 2011 [7]. Im Urteil heißt es unter anderem:

„Im Sommer 2010 kam es während einer Urlaubsabwesenheit des Beklagten zu mehreren außergewöhnlich großen und kostspieligen Bestellungen von Zigaretten für den E. Markt des Beklagten, über dessen Höhe die Parteien nicht einig sind. Diese Zigaretten wurden in den E. Markt des Beklagten geliefert und verschwanden alsdann, der Beklagte gibt den entstandenen Schaden mit knapp 60.000,00 EUR an. Der Beklagte bemühte sich im Nachgang herauszufinden, welcher seiner 5 stellvertretenden Marktleiter (darunter der Kläger) die außergewöhnlich großen Bestellungen initiiert hatte und verdächtig sei, für diesen Vorfall verantwortlich zu sein. Nach Durchsicht der Dienstpläne kam er zu dem Schluss, dass der Kläger bei jeder der 4 Anlieferungen der Zigaretten zugegen gewesen sei und auch jeweils am Tage der jeweiligen Bestellung im Betrieb gewesen sei, woraus der Beklagte schloss, dass der Kläger der Hauptverdächtige sei. Der Beklagte zeigte den Vorfall bei der Staatsanwaltschaft an, woraufhin die Polizei die Wohnung des Klägers am 10.02.2011 durchsuchte, jedoch nichts Verdächtiges fand. …

Vorliegend wäre zwar ein erheblicher Verdacht, der Kläger könnte seine Stellung als stellvertretender Marktleiter dazu missbraucht haben, unmäßig viele Zigaretten zu bestellen und diese alsdann mithilfe seines Marktschlüssels zu entwenden, grundsätzlich geeignet, eine Verdachtskündigung zu begründen. Indes konnte die Kammer keinen erheblichen Tatverdacht gegen den Kläger feststellen: Die wenigen Tatsachen, die dem Beklagten zur Verfügung stehen, reichen nicht aus, um die Kammer davon zu überzeugen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kläger gewesen ist, der die Zigaretten gestohlen hat. Selbst wenn die vom Beklagten vorgetragenen Tatsachen unstreitig geblieben wären, begründeten sie keinen starken Tatverdacht. Zwar mag der Kläger bei allen übermäßig hohen Bestellungen zugegen gewesen sein, als die Ware angeliefert wurde und hätte mit Hilfe seines Schlüssels womöglich Gelegenheit gehabt, die Zigaretten mitzunehmen. Doch treffen diese Verdachtsmomente nicht nur auf den Kläger, sondern mindestens auch auf die weiteren stellvertretenden Markleiter zu”.

2. Das wollte der Beklagten nicht gelten lassen: Er legte Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein, dessen Kammer 17 sein Rechtsmittel im Urteil vom 28. September 2011[8] allerdings zurückwies. In deren Urteil heißt es unter anderem:

„Das Arbeitsgericht hat im vorliegenden Fall zu Recht angenommen, dass ein gegen den Kläger gerichteter dringender Verdacht nicht berechtigt ist. Es ist zwar ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Beklagte den Kläger verdächtigte, für den entdeckten Inventarverlust verantwortlich zu sein. Der Kläger war – nach der Behauptung des Beklagten allein – für den Berei...

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