Das Streikgeschehen kennt eine Vielzahl von Erscheinungsformen, durch die Vorenthaltung von arbeitsvertraglich geschuldeter Arbeitsleistung auf den oder die Arbeitgeber Druck auszuüben. Einige von ihnen sind überkommen. Andere reagieren auf Veränderungen in den Produktionsverhältnissen oder auf rechtliche Neuausrichtungen, etwa in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Im Folgenden werden tatsächliche Erscheinungsformen und die zu deren Kennzeichnung verwendeten Begriffe zusammengestellt und erläutert. Zur Zulässigkeit des jeweiligen Verhaltens ist damit noch nichts gesagt.

Nach den am Streik Beteiligten unterscheidet man zwischen dem gewerkschaftlichen Streik und dem sog. wilden oder nicht gewerkschaftlichen Streik. Der gewerkschaftliche Streik wird von einer Gewerkschaft geführt, organisiert und letztlich verantwortet. Träger des wilden Streiks ist üblicherweise eine Arbeitnehmergruppe, die sich aus Anlass eines tatsächlichen oder vermeintlichen Missstands in einem Unternehmen bildet und eigenverantwortlich eine Arbeitsniederlegung organisiert. Solche Arbeitnehmergruppen bezeichnet man als "Ad-hoc-Koalition".

 
Praxis-Beispiel

Ad-hoc-Koalition

Ein Berliner Onlinevertrieb für Lebensmittel hatte seinen Fahrradkurieren (sog. Ridern) nach deren Auffassung unzureichende Arbeitsbedingungen geboten. Die Rider schlossen sich zunächst in verschiedenen miteinander in einer Hauptgruppe verknüpften WhatsApp-Gruppen zusammen und installierten eine Verhandlungskommission. Nach deren Erfolglosigkeit beschloss und organisierte die WhatsApp-Hauptgruppe eine Arbeitsniederlegung, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Eine Gewerkschaft war an diesem Geschehen nicht aktiv beteiligt. Eine wegen der Arbeitsniederlegung gekündigte Fahrradkurierin machte im Kündigungsschutzprozess geltend, die zuständige Branchengewerkschaft habe vor der Arbeitsniederlegung mitgeteilt, sie werde nur aktiv, wenn 50 % der potenziellen Akteure bei ihr organisiert seien. Dies war nicht der Fall.[1]

Auf den Umfang des Streiks stellt ab, wer von einem Voll- oder Flächenstreik spricht oder dessen Gegenbegriff, den Teilstreik, verwendet. Im ersten Fall werden alle Arbeitnehmer, für die später der angestrebte Tarifvertrag gelten soll, zur Streikteilnahme aufgerufen. Im zweiten Fall wird nur ein Teil dieses Personenkreises zur Arbeitsniederlegung aufgefordert. Vollstreiks sind heute sehr selten. Sie sind wegen der von den Gewerkschaften nach ihren Satzungen zu leistenden Unterstützungen für die am Streik beteiligten Gewerkschaftsmitglieder sehr teuer. Die fast durchgängig an deren Stelle getretenen Teilstreiks finden in unterschiedlichen Formen statt:

  • Schwerpunktstreiks betreffen nur bestimmte Unternehmen des Tarifgebietes oder auch nur bestimmte Arten von Arbeitsplätzen innerhalb der bestreikten Unternehmen, z.B. das Zugpersonal bei einer für alle Beschäftigten der Deutschen Bahn geführten Tarifauseinandersetzung. Über die Verweigerung, bestimmte Schlüsselfunktionen wahrzunehmen, wird ein gemessen an der Zahl der Streikbeteiligten "überschießender" Druck ausgeübt.
  • Man spricht von rollierenden oder Wechselstreiks, wenn nach einem einheitlichen Streikplan immer andere Unternehmen, Betriebe oder Betriebsteile bestreikt werden. Taktischer Hintergrund solchen Verhaltens ist der Versuch, die Verlagerung bestreikter Funktionen aus den kampfbetroffenen Betrieben zu erschweren.
  • Sollen die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer nicht gemeinsam, sondern in Gruppen nacheinander jeweils für relativ kurze Zeit die Arbeit niederlegen, spricht man von Sukzessivstreiks.
  • Vergleichbar sieht es beim sog. Wellenstreik aus: Die Beschäftigten legen nach einem einheitlichen Plan immer wieder in mehr oder weniger großen Zeitabständen kurzfristig die Arbeit nieder und nehmen sie anschließend wieder auf.

     
    Praxis-Beispiel

    Wellenstreik

    In wechselnden Abteilungen einer Zeitungsdruckerei, in der Tageszeitungen erstellt wurden, wurde zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten für eine oder eineinhalb Stunden die Arbeit niedergelegt. Danach boten die bis dahin Streikbeteiligten ihre Arbeit wieder an.[2]

  • Eine besondere Form des Teilstreiks ist der sog. Bummelstreik. Man hat ihn gelegentlich auch "Dienst nach Vorschrift" genannt. Hier wird der Arbeitskampfdruck nicht durch vollständige Arbeitsniederlegung, sondern durch die – unzureichende – Intensität der Arbeitsleistung ausgeübt.

     
    Praxis-Beispiel

    Bummelstreik

    Übertrieben gründliche, ausschließlich den Anweisungen entsprechende Arbeit; bewusstes Langsam- oder Schlechtarbeiten, Verweigerung jeglicher Überstunden, "Bleistiftstreik" (eigentliche Arbeit, z. B. eines Krankenhausarztes, wird erledigt, deren für die Abrechnung gegenüber Dritten erforderliche Dokumentation aber verweigert).

Die letztgenannten Streikformen bezeichnet man zusammenfassend auch als Nadelstichstreiks oder spricht von der "neuen Beweglichkeit" im Arbeitskampf. Mithilfe der Arbeitsstörungen durch möglichst wenige Arbeitnehmer soll ein möglichst großer Druck erzeugt werden. Erhebl...

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