Es ist bis heute nicht unumstritten, ob das Mittel der Aussperrung als besonderes Arbeitskampfmittel überhaupt von Rechts wegen zur Verfügung steht: Arbeitgeber müssten für streikbedingte Arbeitsausfälle ohnehin keinen Lohn zahlen, sodass sich Beschäftigte mit der Streikteilnahme schon selbst schädigten; da bedürfe es keines Aussperrungsrechts; ein ausgewogenes Verhandlungsergebnis im Rahmen der Tarifautonomie sei unter diesen Bedingungen typischerweise auch ohne ein Recht auf Aussperrung zu erwarten. Auch wird aus Art. 6 Abs. 4 ESC[1] entnommen, dass nur ein Recht zum Streik, nicht auch ein Recht zur Aussperrung garantiert sei. BAG und Bundesverfassungsgericht haben indes anders entscheiden. Danach gewährleistet die Tarifautonomie mit dem Recht zu koalitionsgemäßem Verhalten auch das Recht, die Arbeitgeberseite auszusperren. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sei nur gewährleistet, wenn der Grundsatz der Kampfparität gelte. Er verlange, dass beide an der Tarifauseinandersetzung Beteiligte eigene Kampfmittel zur Verfügung hätten. Ob auch die Arbeitsverhältnisse lösende Aussperrungen gewährleistet sind, ist dabei offengeblieben.[2]

Das Grundrecht der Tarifautonomie in der Ausprägung durch das richterrechtlich gebildete Arbeitskampfrecht verdrängt nach Art. 31 GG ("Bundesrecht bricht Landesrecht") auch nachrangiges Landesrecht. Deshalb ist Art. 29 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen jedenfalls insoweit nichtig, als dort auch die suspendierende Abwehraussperrung verboten wird.[3] Entsprechend ist es auch unerheblich, dass Art. 51 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg vom 20.8.1992 nur das Streikrecht gewährleistet. Ein aus der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitetes Recht auf suspendierende Abwehraussperrung ist damit nicht ausgeschlossen.

[1] S. Abschn. 6.
[2] BAG, Beschluss v. 21.4.1971, GS 1/68; BAG, Urteil v. 10.6.1980, 1 AZR 822/79; BAG, Urteil v. 26 4.1988, 1 AZR 399/86; BVerfG, Beschluss v. 26.6.1991, 1 BvL 779/85.

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