1 Leitsatz

Wendet sich ein Wohnungseigentümer mit der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung eines Beschlussantrags (Negativbeschluss), hat er hiermit nur dann einen Erfolg, wenn lediglich die beantragte positive Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte, also insoweit das Ermessen auf Null reduziert war.

2 Normenkette

§§ 18, 19, 44 WEG

3 Das Problem

2 Ehepaare bilden die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Im rückwärtigen Teil der Wohnungseigentumsanlage befinden sich ein Gemeinschaftsgarten und ein Pkw-Stellplatz, an dem K1 und K2 ein Sondernutzungsrecht zusteht. Beide Flächen sind nur über einen Verbindungsweg zu erreichen. Zur öffentlichen Straße hin befindet sich ein Hofeinfahrtstor, das die Eheleute B1 und B2 verschlossen halten. In der Versammlung vom 8.12.2020 beantragen K1 und K2 zu beschließen, das Schloss des Hofeingangstors auszuwechseln und die Schlüssel unter allen Wohnungseigentümern aufzuteilen. Der Beschlussantrag findet keine Mehrheit. Mit ihrer Klage verlangen K1 und K2, diesen Beschluss für ungültig zu erklären (Klageantrag zu 1). Mit dem Klageantrag zu 2 erstreben sie die Ersetzung eines entsprechenden Beschlusses.

4 Die Entscheidung

Die Anfechtungsklage (Klageantrag zu 1) hat keinen Erfolg! Wende sich ein Wohnungseigentümer gegen die Ablehnung eines Beschlussantrags (Negativbeschluss), habe er hiermit nur dann Erfolg, wenn lediglich die beantragte positive Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte, also das Ermessen auf Null reduziert gewesen sei. Dies sei nicht der Fall, wenn es zulässige Alternativen zu dem beantragten Vorgehen gebe. So liege esaber: Im Fall könne der erstrebte Zugang zu dem Gemeinschaftsgarten und dem Pkw-Stellplatz durch verschiedene Mittel erreicht werden. Einerseits könne das Schloss des Hofeingangstors ausgetauscht und K1 und K2 entsprechende Schlüssel zur Verfügung gestellt werden. Andererseits werde dem Anliegen auch dann Rechnung getragen, wenn K1 und K2 Schlüssel zu dem vorhandenen Schloss erhielten.

Die Beschlussersetzungsklage (Klageantrag zu 2) habe hingegen Erfolg! K1 und K2 könnten gem. § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG eine Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, die dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspreche. Hierzu gehöre auch der Zugang zu dem Gemeinschaftsgarten und dem Stellplatz. In welcher Weise die Möglichkeit eingeräumt wird, das Hofeingangstor zu öffnen (und zu schließen), sei den Wohnungseigentümern zu überlassen.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es um die Frage, wann eine Anfechtungsklage gegen einen Negativbeschluss und wann eine Beschlussersetzungsklage in Bezug auf ihn Erfolg haben.

Anfechtungsklage gegen einen Negativbeschluss

Nach herrschender Meinung ist die Entscheidung, einen Beschluss nicht zu fassen, ein Beschluss. Man nennt diesen Beschluss "Negativbeschluss". Sieht man es so, muss auch der Negativbeschluss einer ordnungsmäßigen Verwaltung entsprechen. Die Entscheidung klärt (nochmals), dass dies nur dann nicht der Fall ist, wenn sich das Ermessen der Wohnungseigentümer, den beantragten Beschluss zu fassen, auf Null reduziert hat. Könnten die Wohnungseigentümer mithin vertretbar auch anders entscheiden, kann die Anfechtungsklage, wie im Fall, keinen Erfolg haben.

Beschlussersetzungsklage

Ein von den Wohnungseigentümern nicht gefasster Beschluss darf nur insoweit ersetzt werden, als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist. Es ist mithin stets zu prüfen, ob und ggf. auf welche Weise es den Wohnungseigentümern ermöglicht werden kann, noch selbst in eigener Regie eine Entscheidung zu treffen.

Anwendbarkeit des § 281 BGB?

Der BGH hat mit der Entscheidung im Übrigen geklärt, dass § 281 BGB auf die Ansprüche der Wohnungseigentümer auf Störungsabwehr nicht anwendbar ist.

Gebührenstreitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Negativbeschluss

Bislang ist unklar, welcher Gebührenstreitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Negativbeschluss gem. § 49 GKG anzusetzen ist. Da ein Negativbeschluss nichts regelt, meinte ich selbst, es sei grundsätzlich ein Auffangwert von 5.000 EUR angemessen. Der BGH sieht das anders! Er meint, man müsse zunächst den Gebührenstreitwert für eine positive Beschlussfassung bestimmen. Für den Negativbeschluss müsse man diesen Wert dann bei der Bewertung des Gesamtinteresses und des Einzelinteresses jeweils halbieren.

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass jeder Wohnungseigentümer eine Möglichkeit haben muss, Flächen und Räume, die im gemeinschaftlichen Eigentum stehen, zu erreichen. Im Fall müssen daher K1 und K2 passende Schlüssel erhalten. Schade ist, dass der BGH im Fall nicht den Deckel auf das Problem gemacht hat. Sein Tenor lautet: "Es ist beschlossen, dass den Klägern die Möglichkeit eingeräumt wird, das Hofeinfahrtstor der Wohnungseigentumsanlage H. in D. zu öffnen und zu schließen." K1 und K2 müssen also nochmals in den Ring.

6 Entscheidung

BGH, Urteil v. 23.6.2023, V ZR 158/22

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