Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit beschäftigt sich der BGH mit dem Problem, inwieweit eine Anfechtung der Vaterschaft durch den genetischen Vater möglich ist, wenn zwischen rechtlichem Vater und Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. In beiden Fällen war die genetische Vaterschaft des Anfechtenden aufgrund vorliegender Abstammungsgutachten außer Streit. In der ersten Entscheidung vom 18.10.2017[1] stand im Vordergrund die Frage, ob die Regelung des § 1600 Abs. 2 BGB als verfassungsgemäß anzusehen ist, wonach das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung die Anfechtung durch den genetischen Vater ausschließt. Diese Frage hat der BGH m.E. zutreffend bejaht. Er nimmt hierauf in der jetzigen Entscheidung wiederholt Bezug. Die Problematik verschärft sich hier noch einmal dadurch, dass sowohl der rechtliche wie auch der genetische Vater eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind unterhalten.

In beiden Entscheidungen unterstreicht der Senat (hier: Rn 19 f.), dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob eine sozial-familiäre Beziehung besteht, regelmäßig die letzte mündliche Verhandlung in der Beschwerdeinstanz als letzter Tatsacheninstanz sei. Auch die Ausführungen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Beziehung anzunehmen ist, liegen auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung. Er betont insbesondere, dass für eine sozial-familiäre Beziehung kein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich sei und regelmäßige Umgangskontakte für die Annahme einer solchen Beziehung ausreichen können. Es gebe auch keine Mindestdauer, wie lange diese Beziehung bestehen müsse.

Nach diesen Maßstäben war die sozial-familiäre Beziehung des rechtlichen Vaters zum Kind ebenso zu bejahen wie die des genetischen, inzwischen mit der Mutter verheirateten Vaters. Das OLG Hamm[2] hatte als Vorinstanz die Auffassung vertreten, aufgrund historischer und teleologischer Auslegung könne in dieser Konstellation der Anfechtungsausschluss des § 1600 Abs. 2 BGB nicht eingreifen.[3] Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der sozialen Familie werde nur erreicht, wenn der leibliche Vater auch die Rolle des rechtlichen Vaters einnehmen könne.

Dieser Auffassung erteilt der BGH eine klare Absage: Eingehend begründet er, warum die Auslegungsmethoden des OLG Hamm nicht zu einem vom klaren Wortlaut des § 1600 Abs. 2 BGB abweichenden Ergebnis führen könnten (Rn 24 ff.) Die wortlautgetreue Auslegung des § 1600 Abs. 2 BGB entspreche den Vorgaben des BVerfG. Über das Umgangsrecht könne ein leiblicher Vater eine sozial-familiäre Beziehung aufbauen, ohne dass ihn dies gleich zur Anfechtung berechtige. Die gesetzgeberische Entscheidung sei zu respektieren, zumal sie auch nicht in Widerspruch zu Art. 8 EMRK stehe.

Die Frage, ob die bestehende gesetzliche Regelung auch zukünftig noch rechtspolitisch wünschenswert erscheine oder ob den Interessen des leiblichen Vaters ein höherer Stellenwert gebühre, falle nach der meiner Meinung nach zutreffenden Ansicht des BGH in die alleinige Zuständigkeit des Gesetzgebers.[4] In der Tat hat der Abschlussbericht des BMJV-Arbeitskreises Abstammungsrecht[5] in seiner These 29 empfohlen, für die Anfechtung solle neben der sozial-familiären Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater auch eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum genetischen Vater "berücksichtigt und gewichtet werden". Für den vom OLG Hamm vertretenen Vorrang des genetischen Vaters, in diesen Fällen auch die rechtliche Vaterposition einnehmen zu können, hat sich der Arbeitskreis dagegen gerade nicht ausgesprochen. Vielmehr hat er ausgeführt, in solchen Fällen könne "weder dem rechtlichen noch dem genetischen Vater von vornherein ein Vorrang eingeräumt werden". Dem OLG Hamm ist zuzugestehen, dass der nach geltender Rechtslage bestehende Vorrang des rechtlichen Vaters in der Literatur durchaus kritisch gesehen und eine Nachbesserung durch Schaffung einer auch vom Arbeitskreis geforderten Einzelfallabwägung gefordert wird.[6] Nach welchen Kriterien genetische und rechtliche Vaterschaft gegeneinander abzuwägen sein sollten, wird allerdings auch im zitierten Abschlussbericht nicht näher konkretisiert. Die Expertengruppe verweist insoweit lediglich darauf, eine Kindeswohlprüfung unter Verwendung der im Rahmen sorge- und umgangsrechtlicher Entscheidungen entwickelten Kriterien sei für die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung nicht sachgerecht. Denn es gehe insbesondere nicht darum, dem "besseren" Vater die rechtliche Elternstellung zuzuweisen.[7] Man wird insoweit gespannt sein dürfen, ob sich der Gesetzgeber dieses Problems annehmen und welche Lösung er ggf. finden wird. Ohne gesetzgeberisches Eingreifen jedenfalls ist durch die hiesige Entscheidung für die Praxis einstweilen klargestellt, dass eine sozial-familiäre Beziehung des rechtlichen Vaters zum maßgebenden Zeitpunkt die Anfechtung durch den genetischen Vater auch dann ausschließt, wenn dieser selbst eine – womöglich sogar intensivere – ebensolche Beziehung zum Kind unterhält.

Wolfgang Keuter, Ri...

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