Leitsatz

  1. Eine Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG ist für jede gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes – gleich welcher Art – zulässig und möglich. "Gerichtliches Verfahren" i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 RVG ist auch das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren, selbst wenn sich daran kein gerichtlicher Rechtsstreit in der Hauptsache – z.B. ein Klageverfahren – anschließt.
  2. "Gericht des ersten Rechtszuges" i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 RVG ist bei einem isolierten Prozesskostenhilfeantrag das Gericht, bei dem das Prozesskostenhilfegesuch eingereicht wurde. Die Rechtshängigkeit i.S.d. § 66 FGO ist in diesem Zusammenhang nicht maßgebend.

FG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 14.4.2015 – 4 KO 1214/14

1 Tatbestand

Die Erinnerungsführerin hatte als Prozessbevollmächtigte für die Erinnerungsgegnerin "Klage unter der Bedingung der Gewährung von Prozesskostenhilfe" gegen die Familienkasse erhoben. Da die Familienkasse dem Begehren der Erinnerungsgegnerin stattgab, trat Erledigung des Verfahrens ein, sodass das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren sodann analog FGO ohne Kostenentscheidung eingestellt wurde, da im Prozesskostenhilfeverfahren eine Kostenerstattung grundsätzlich nicht stattfindet. Ein Klageverfahren wurde anschließend nicht aufgenommen.

Daraufhin beantragte die Erinnerungsführerin die Vergütungsfestsetzung nach § 11 RVG und begehrte insgesamt die Auszahlung von noch 107,06 EUR zuzüglich Verzinsung und bat um vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses mit dem Vermerk des Zustellungsdatums.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts unterrichtete die Erinnerungsgegnerin über den Antrag und vertrat gegenüber der Erinnerungsführerin die Ansicht, dass die Verfahrensvoraussetzungen des § 11 RVG nicht erfüllt seien. Nach § 11 RVG könne ausschließlich das Gericht des ersten Rechtszuges die Gebühren festsetzen. Da im vorliegenden Verfahren lediglich ein Rechtsstreit beabsichtigt gewesen und tatsächlich noch keine Klage erhoben worden sei, fehle es an einem Ausgangsverfahren, welches die sachliche oder örtliche Zuständigkeit begründen würde. Dem widersprach die Erinnerungsführerin.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lehnte daraufhin den Festsetzungsantrag ab.

Dagegen legte die Erinnerungsführerin Erinnerung ein und vertrat die Ansicht, dass die Vergütung festzusetzen sei. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle half der Erinnerung nicht ab.

Die Erinnerung hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Auf die Erinnerung der Erinnerungsführerin wird der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle aufgehoben und die der Erinnerungsführerin durch die Erinnerungsgegnerin zu erstattende Vergütung festgesetzt. Die Erinnerungsführerin kann nach § 11 RVG grundsätzlich die Festsetzung der Vergütung durch das Gericht fordern.

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 RVG setzt das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwaltes Vergütungen fest, soweit die gesetzliche Vergütung, eine nach § 42 RVG festgestellte Pauschgebühr und die zu ersetzenden Aufwendungen (§ 670 BGB) zu den Kosten des gerichtlichen Verfahrens gehören.

Auch das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren ist ein gerichtliches Verfahren i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 RVG, selbst wenn sich daran kein gerichtlicher Rechtsstreit in der Hauptsache – z.B. ein Klageverfahren – anschließt (OLG Koblenz, Beschl. v. 30.8.2002 – 14 W 506/02, JurBüro 2002, 588 [= AGS 2003, 105]; LG Osnabrück, Beschl. v. 15.8.2002 – 9 T 766/02, NdsRpfl. 2003, 72; AG Koblenz, Beschl. v. 14.10.2004 – 40 UR IIa 548/04, FamRZ 2005, 1267; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 11 RVG Rn 14; Baumgärtel, in: Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 15. Aufl., § 11 RVG Rn 11; Hartung/Schons/Enders, RVG, § 11 RVG Rn 7; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 11 RVG Rn 13 Stichwort "Verfahrensbevollmächtigter").

Teilweise wird zwar angenommen, dass eine Vergütungsfestsetzung erst möglich sei, wenn wenigstens ein das Hauptverfahren (Klage, Antrag auf einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz, etc.) einleitender Antrag gestellt wurde (Hartmann, KostG, 44. Aufl., § 11 RVG Rn 41). Diese Einschätzung, dass das Prozesskostenhilfeverfahren selbst – also für sich allein – kein gerichtliches Verfahren i.S.d. § 11 RVG sein könne, dürfte letztlich auf die Ausgestaltung des früheren § 19 BRAGO zurückgehen. Nach dieser Vorschrift, die bis zum Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004 Grundlage für das Verfahren war, konnte eine Vergütungsfestsetzung nur erfolgen, wenn der Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter, Beistand, Unterbevollmächtigter oder Verkehrsanwalt tätig war (§ 19 Abs. 1 BRAGO, der bis zum Inkrafttreten des § 11 RVG am 1.7.2004 galt, hatte folgenden Wortlaut: Die gesetzliche Vergütung, die dem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten, Beistand, Unterbevollmächtigten oder Verkehrsanwalt [§ 52 BRAGO] zusteht, wird auf Antrag des Rechtsanwalts oder des Auftraggebers durch das Gericht des ersten Rechtszuges festgesetzt. Getilgte Beträge sind abzusetzen). Prozessbevollmächtigter sei ein Rechtsanwalt aber nur dann, wenn er eine Prozessvertretung i.S.v. § 62 Abs. 1 S. 1 FGO...

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