Leitsatz

Auch die anwaltliche Prüfung eines notariellen Vertragsentwurfs kann die Geschäftsgebühr auslösen.

LG Nürnberg-Fürth, Hinweisbeschl. v. 12.5.2015 – 6 S 112/15

1 Aus den Gründen

Das Gericht teilt die Ansicht des AG, wonach im vorliegenden Fall eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist.

Zutreffend weist das AG darauf hin, dass nach Vorbem. 2.3 VV eine Geschäftsgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags entsteht. Wie sich aus der Formulierung der zitierten Vorschrift eindeutig ergibt, wird die Geschäftsgebühr damit alternativ ausgelöst, d.h. entweder durch das Betreiben des Geschäfts (einschließlich der Information) oder durch die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags.

Offen bleiben kann vorliegend, ob die Klägerin für die Beklagte aufgrund ihrer Tätigkeit ein Geschäft i.S.d. zitierten Vorschrift betrieben hat. Nach Einschätzung der Kammer hat die Klägerin jedenfalls bei der Gestaltung eines Vertrags mitgewirkt. Auch hier ist zwar die Abgrenzung zwischen Beratungs- und Geschäftsgebühr im Einzelfall schwierig (vgl. nur Baumgärtel, in: Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Aufl. 2014, Vorbem. 2.3 VV Rn 9). Allerdings ist anerkannt, dass die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags nicht erst dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt Urkunden oder Verträge entwirft. Vielmehr kann auch eine nur (fern-)mündliche Mitwirkung (Baumgärtel, a.a.O., Rn 8) bzw. die Überprüfung eines vorgelegten notariellen Vertragsentwurfs (Teubel, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Vorbem. 2.3 VV, Rn 5) die Geschäftsgebühr auslösen.

Vorliegend wurde der Klägerin unstreitig mit Fax vom 24.3.2010 ein Entwurf eines 5-seitigen notariellen Vermächtniserfüllungsvertrags seitens der Beklagten zugeleitet. In dem handschriftlichen Anschreiben der Beklagten wurde der bei der Klägerin tätige Rechtsanwalt M darum gebeten, den Vertragsentwurf "zu beurteilen" sowie seine Meinung "bzw. Richtigstellungen" mitzuteilen. Daraufhin fertigte Rechtsanwalt M am 30.3.2010 eine Stellungnahme und versandte diese per E-Mail an die Beklagte. Darin führte er u.a. aus:

"[…] Auffällig ist, dass die Erbengemeinschaft die Kosten der Beurkundung und des Vollzuges tragen soll. Diese Regelung ist im Testament nicht getroffen, so dass es als angemessen anzusehen ist, wenn der Vermächtnisnehmer die Kosten der Beurkundung trägt."

Sofern Ihr Bruder einer vorrangigen Zahlung an Sie zustimmt, sollte dies Eingang in die Urkunde finden. Dies könnte dadurch erfolgen, dass die Zahlung an Herrn A erst 31 Monate nach der Umschreibung des Grundstücks zu laufen beginnt und im Gegenzug hierzu die an Sie zu erbringenden Leistungen für einen Zeitraum von 25 Monaten zunächst 2.000,00 EUR betragen. Ab dem Zeitpunkt der Zahlung von 50.000,00 EUR an Sie vermindert sich die monatlich zu zahlende Rate auf 1.500,00 EUR.

Die Fälligkeitsregel ist dahingehend zu ergänzen, dass die Ausgleichsbeträge spätestens am 29.10.2019 zur Zahlung fällig werden, soweit sie nicht bereits getilgt wurden.

[…]

Weiteren Änderungsbedarf sehe ich in der Vereinbarung nicht. […]“.

Durch seine konkreten Vorschläge hat Rechtsanwalt M für die Klägerin auf die Gestaltung des Vertrags eingewirkt. Ob und in welchem Umfange es der Beklagten gelang, die Änderungsvorschläge im Vertrag umzusetzen, kann dahinstehen.

Insbesondere aufgrund einer teleologischen Auslegung der Vorschrift Vorbem. 2.3 VV teilt das Gericht die Ansicht Baumgärtels (a.a.O., Rn 8), wonach bei vertragsgestaltender Tätigkeit aufgrund des erhöhten Haftungsrisikos des Rechtsanwalts die Geschäftsgebühr und nicht nur die Beratungsgebühr entsteht.

2 Hinweis der Schriftleitung

Die Berufung ist aufgrund des Hinweisbeschlusses zurückgenommen worden.

3 Anmerkung

Die Geheimnisse des RVG

"Die Sphinx ohne Geheimnis" ist der Titel einer Erzählung von Oscar Wilde, die sich in seiner Kurzgeschichtensammlung "Lord Arthur Saviles Verbrechen und andere Erzählungen" finden lässt.

Dort wird eine geheimnisvolle Frau vorgestellt, die sich letztendlich als eine solche ohne jegliche Geheimnisse entpuppt.

Wenn man so will, ergeht es offenbar vielen mit dem RVG genau umgekehrt:

Obwohl ein Gesetz, auch ein Gebührengesetz keine unlösbaren Rätsel aufgeben sollte, wie es der Sphinx zugeschrieben wird, scheint das RVG noch voller Geheimnisse zu stecken, die manchmal über Jahre hinweg der Aufklärung harren.

Die meisten Geheimnisse sind zwischenzeitlich – dank BGH und mancher Oberlandesgerichte – endgültig gelöst, aber das eine oder andere Rätsel beschäftigt immer noch Gerichte.

Und so ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass sich eine Berufungskammer des LG Nürnberg-Fürth an die Erhellung einer Grauzone gewagt hat, die das Verhältnis zwischen Ratsgebühr und Geschäftsgebühr betrifft, eine Grauzone, die im Übrigen ein beträchtliches Gefahrenpotential nicht nur in zivilrechtlicher Hinsicht mit sich bringt.

Nachdem sich der Gesetzgeber zum 1.7.2006 im außergerichtlichen Beratungsbereich von der gesetzlichen Gebühr verabschiedet hat, ist der anwaltliche Berater gezwungen, die...

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