ZPO § 91 Abs. 1, 2

Leitsatz

Beauftragt eine am Ort des späteren Prozessgerichts nicht wohnhafte Partei unmittelbar nach einem Unfall einen an ihrem Wohnsitz ansässigen Rechtsanwalt zunächst mit der außergerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung und sodann mit der gerichtlichen Vertretung, so sind die Terminsreisekosten des Rechtsanwalts auch dann uneingeschränkt zu erstatten, wenn die Partei zu Beginn des Rechtsstreits in einen Wohnort in der Nähe des Prozessgerichts umzieht.

OLG München, Beschl. v. 12.6.2012 – 11 W 58/12

1 Sachverhalt

Der voll erstattungsberechtigte Kläger nahm wegen eines erlittenen Jagdunfalls die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch. Zum Unfallzeitpunkt hatte er noch in Frankfurt gewohnt und sich unstreitig bereits kurz nach diesem Ereignis für eine Reihe von weiteren damit zusammenhängenden Prozessen der in Frankfurt ansässigen und auch im vorliegenden Rechtsstreit eingeschalteten Prozessbevollmächtigten bedient.

In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin aus dem Kostenfestsetzungsantrag des Klägers – in dem eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV nicht geltend gemacht wird – die Reisekosten der Frankfurter Rechtsanwälte des Klägers gestrichen: Diese seien nur in Höhe der fiktiven Kosten der Anreise eines am nunmehrigen Wohnort des Klägers ansässigen Anwaltes berücksichtigungsfähig. Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Beschwerde beruft sich der Kläger darauf, die Hinzuziehung seiner Frankfurter Prozessbevollmächtigten sei letztlich für die Beklagte kostengünstiger, da bei Einschaltung eines weiteren Anwaltes eine zusätzliche – nicht der Anrechnung unterliegende – Geschäftsgebühr entstanden wäre. Zudem sei fraglich gewesen, bei welchem Gericht der Rechtsstreit zu führen war; im Übrigen hätten seine Anwälte das Unfallereignis und die Folgen praktisch "vom Unfalltage an" begleitet, weshalb sie mit dem Sachverhalt in allen Einzelheiten bestens vertraut gewesen seien, was insbesondere zur Entstehung eines besonderen Vertrauensverhältnisses geführt habe. Die Beklagte verweist demgegenüber u.a. darauf, zur Führung des vorliegenden Versicherungsrechtsstreits seien spezielle Kenntnisse aus anderen Prozessen nicht erforderlich gewesen, weshalb es dem Kläger oblegen hätte, einen Anwalt vor Ort zu mandatieren und entsprechend zu informieren.

2 Aus den Gründen

1. Vom Grundsatz her ist die Argumentation sowohl in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss wie auch in der Nichtabhilfeentscheidung völlig korrekt:

Die Kosten eines sogenannten "Rechtsanwaltes am dritten Ort" sind regelmäßig nur in Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohnort des Klägers ansässigen Anwaltes erstattungsfähig (vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – XI ZB 13/11 [= AGS 2012, 434]; Beschl. v. 25.10.2011 – VIII ZB 93/10; Beschl. v. 13.9.2011 – VI ZB 9/10 [= AGS 2012, 47]; Senat, Beschl. v. 2.2.2012 – 11 W 201/12; Gerold/Schmidt/Madert/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., Nr. 7005, 7006 VV Rn 25 ff., jew. m.w.N.). Richtig ist auch, dass selbst eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt hieran nichts ändert, vgl. etwa BGH, Beschl. v. 12.11.2009 – I ZB 101/08, ferner ist vom BGH mehrfach entschieden, dass eine bereits vorprozessuale Tätigkeit der später eingeschalteten auswärtigen Anwaltskanzlei eine entsprechende Erstattungsfähigkeit grundsätzlich nicht zu begründen vermag (Beschl. v. 20.12.2011, a.a.O.; Beschl. v. 22.2.2007 – VII ZB 93/06 Tz 14 [= AGS 2008, 260]; Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 26).

2. Unter besonderen Voraussetzungen sind von diesem Grundsatz jedoch Ausnahmen möglich, siehe z.B. BGH, Beschl. v. 7.6.2011 – VIII ZB 102/08 [= AGS 2011, 460]; Beschl. v. 12.11.2009 – I ZB 101/08; Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 28 ff.).

Vom Vorliegen derartiger Voraussetzungen, die zur ausnahmsweisen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines "Anwaltes am dritten Ort" führen, ist hier auszugehen:

a) Soweit der BGH eine bereits vorprozessuale Tätigkeit des auswärtigen Anwaltes als nicht ausreichend erachtet um die Erstattungsfähigkeit von dessen Reisekosten begründen zu können, beruht dies auf der Erwägung, eine vernünftige und kostenorientierte Partei werde bereits für die vorprozessuale Tätigkeit einen Anwalt an ihrem Wohnort beauftragen; maßgeblicher Zeitpunkt sei insoweit bereits die Beauftragung des Anwaltes mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung (Beschl. v. 20.12.2011, a.a.O.; Beschl. v. 22.2.2007, a.a.O., Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 26). Dieser Gesichtspunkt spricht hier jedoch nicht gegen den Kläger, denn genau dies hat er – als damals in Frankfurt wohnhaft – getan. Unstreitig bediente er sich zur Führung auch weiterer im Zusammenhang mit dem Unfall stehender Prozesse der in Frankfurt ansässigen Kanzlei seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten.

b) Richtig ist ferner, dass selbst eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt alleine kein Grund ist, diesen für den Rechtsstreit bei einem auswärtigen Gericht zu mandat...

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