§§ 8 Abs. 1 S. 2, 33 RVG; § 251 ZPO; § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Leitsatz

  1. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 RVG> sollen die in einem gerichtlichen Verfahren tätigen Anwältinnen und Anwälte ihre Vergütung nicht nur und erst dann geltend machen können, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist, sondern unter anderem auch dann, wenn das Verfahren mehr als drei Monate geruht hat.
  2. Die Kammer schließt sich der Auffassung an, nach der insoweit auch ein drei Monate andauernder Stillstand des Verfahrens genügt. Entscheidend ist dabei aber, dass das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es das Verfahren von sich aus bis auf Weiteres nicht weiter betreiben will (vgl. LAG Köln 17.11.2011 – 7 Ta 30/11>, Rn 11>; OLG Karlsruhe 22.11.2007 – 5 U 147/05>, NJW-Spezial 2008, 92> f.). Einer förmlichen Ruhensanordnung i.S.v. § 251 ZPO> bedarf es nicht.
  3. Der Streit der Betriebsparteien über die Untersagung von Verstößen gegen § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG> stellt eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit dar. Je nach Umfang und Bedeutung der Maßnahme sind der Hilfswert, ein Vielfaches oder ein Bruchteil davon anzusetzen. Aspekte, die zur Erhöhung oder Verminderung des Wertes führen können, sind insoweit die Dauer und Bedeutung der Maßnahme sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Anzahl der von der Maßnahme betroffenen Belegschaftsmitglieder (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5.11.2020 – 26 Ta (Kost) 6053/20).

LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.10.2023 – 26 Ta (Kost) 6085/23

I. Sachverhalt

Der Betriebsrat hatte vor dem ArbG Berlin die Untersagung der Nutzung von Analyse- und Sicherheitssystemen in einem Konzern beantragt. Zum Einsatz in dem Konzern sollten sechs unterschiedliche Security-Systeme mit verschiedenen Regelungszwecken gelangen. Der Betrieb dieser Systeme wurde anfänglich geduldet. Nach zahlreichen Einigungsversuchen hat der Betriebsrat den Einsatz der Systeme abgelehnt. In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde von einer oder von beiden Parteien beantragt, das Verfahren terminlos zu stellen sowie den vom ArbG Berlin angesetzten Verhandlungstermin aufzuheben. Hintergrund dieses Antrags war die Fortsetzung von Verhandlungen vor einer eingerichteten Einigungsstelle. Diesem Begehren war das Arbeitsgericht nachgekommen. Auch nach über einem Jahr haben die Verfahrensbeteiligten das Verfahren nicht wieder aufgerufen.

Durch Beschl. v. 28.9.2023 hat das ArbG Berlin den Gegenstandswert für die Anträge des Konzern-Betriebsrats auf insgesamt 30.000,00 EUR festgesetzt. Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde haben die Verfahrensbevollmächtigten des Konzern-Betriebsrats die Heraufsetzung des Gegenstandswertes auf 60.000,00 EUR beantragt. Dies haben sie damit begründet, im Rahmen des Verfahrens sei es um eine Software gegangen, die von erheblicher Bedeutung sei und etwa 7.000 Belegschaftsmitglieder im Konzern der Beteiligten zu 2 betreffe.

Das ArbG Berlin hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Vor dem LAG Berlin-Brandenburg hatte die Beschwerde Erfolg.

II. Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes

1. Formerfordernisse

Das LAG Berlin-Brandenburg hat zunächst feststellt, dass der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes zulässig war, weil die Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats fällig gewesen sei. Gem. § 33 Abs. 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszuges den Gegenstandswert auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, wenn sich – was hier wohl der Fall gewesen ist – die Gerichtsgebühren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwert richteten oder es an einem solchen Wert fehlte. Gem. § 33 Abs. 2 S. 2 RVG sind antragsberechtigt der Rechtsanwalt – hier die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats –, der Auftraggeber oder ein erstattungspflichtiger Gegner. Ist einem Beteiligtem PKH oder VKH bewilligt worden, hat auch die Staatskasse ein Antragsrecht. Gem. § 33 Abs. 2 S. 1 RVG ist der Antrag erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist.

2. Fälligkeit der Anwaltsvergütung

Die Fälligkeitstatbestände sind in § 8 RVG geregelt. § 8 Abs. 1 S. 2 RVG regelt zwei allgemeine Fälligkeitstatbestände, die hier wohl nicht erfüllt waren. Hinsichtlich der Tätigkeit des Anwalts in einem gerichtlichen Verfahren zählt § 8 Abs. 1 S. 3 RVG drei weitere Fälligkeitstatbestände auf, von denen das LAG Berlin-Brandenburg den letzten Tatbestand geprüft hat. Danach ist die Vergütung auch fällig, wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht. Hierfür genügt nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg ein (mehr als) drei Monate andauernder Stillstand des Verfahrens. Dafür bedürfe es einer förmlichen Ruhensanordnung des Gerichts i.S.v. § 251 ZPO nicht. Vielmehr genüge es, wenn das Gericht zu erkennen gegeben habe, dass es das Verfahren von sich aus bis auf Weiteres nicht betreiben wolle. Diese Voraussetzungen haben hier nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg vorgelegen. Es sei nämlich beantragt worden, das Verfahren terminlos zu stellen und den bereits anberaumten Verhandlungstermin wegen der Anrufung einer eingerichteten Einigungsstelle aufzuheben. Dem habe das ArbG Berlin entsprochen. Das LAG B...

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