1. Notwendiger Anwaltswechsel

Die Entscheidung des OVG Lüneburg liegt auf der Linie der st. Rspr. des BGH. Danach sind bei einem Anwaltswechsel die hierdurch entstehenden Mehrkosten nur dann notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO, wenn er nicht auf ein Verschulden der Partei oder ein ihr nach dem Grundgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Rechtsanwalts zurückzuführen ist. Dies beruht auf dem Umstand, dass für die Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten, die durch einen Anwaltswechsel entstanden sind, nicht schon die objektive Notwendigkeit des Anwaltswechsels genügt. Vielmehr sind die durch einen Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten nur dann erstattungsfähig, wenn ein Anwaltswechsel darüber hinaus unvermeidbar war, mithin weder von der erstattungsberechtigten Partei noch von ihrem Prozessbevollmächtigten schuldhaft verursacht worden war.

2. Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren

Im Kostenfestsetzungsverfahren muss deshalb nicht nur geprüft werden, ob die Beauftragung des zweiten Rechtsanwalts – wegen des Anwaltswechsels – objektiv notwendig gewesen war. Vielmehr erstreckt sich die Prüfung darüber hinaus auch darauf, ob der Anwaltswechsel auf Umständen beruht, die die Partei oder ihr Anwalt hätte voraussehen oder in irgendeiner zumutbaren Weise hätte verhindern können. Diese Umstände, aus denen ersichtlich ist, dass der Anwaltswechsel unvermeidbar war, hat die erstattungsberechtigte Partei, die sich auf die Ausnahmebestimmung des § 91 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO beruft, darzulegen und glaubhaft zu machen (BGH AGS 2013, 93 = RVGreport 2013, 26 [Hansens]).

Zwar sind im Kostenfestsetzungsverfahren materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Kostenerstattungsanspruch grds. nicht zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt im Regelfall nur für solche Einwendungen, deren tatsächliche Voraussetzungen unstreitig sind oder vom Rechtspfleger bzw. Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ohne Schwierigkeiten aus den Gerichtsakten zu ermitteln sind (BGH RVGreport 2007, 110 [Hansens] = NJW-RR 2007, 422). Dies betrifft grds. auch die Frage, ob dem Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seine Partei die Regelungen im § 628 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 326 BGB entgegenstehen. Der Grundsatz, dass materiell-rechtliche Fragen und Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen sind, erfährt jedoch durch die Regelung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO eine Einschränkung. Nach dieser die Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Mehrkosten regelnden Bestimmung ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären, ob ein Wechsel in der Person des Anwalts eintreten musste, was nach dem Rechtsgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO auch dann zu verneinen ist, wenn der zunächst beauftragte Prozessbevollmächtigte den Anwaltswechsel verschuldet hat. Der BGH (AGS 2012, 544 = RVGreport 2012, 422 [Hansens] = zfs 2012, 644 m. Anm. Hansens) hat darauf hingewiesen, dass die für die Büroteilung dieser Frage des notwendigen Anwaltswechsels maßgeblichen Tatsachen im Kostenfestsetzungsverfahren auch dann zu prüfen sind, wenn und soweit sie zugleich eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts beinhalten könnten.

So war hier im Fall des OVG Lüneburg auch der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des VG Osnabrück verfahren und hat nach der von ihm vorgenommenen Prüfung die Notwendigkeit des Anwaltswechsels verneint. Dies hat das OVG Lüneburg zu Recht bestätigt.

VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin

AGS 12/2021, S. 557 - 558

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