Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Nach § 11a Abs. 1 ArbGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe im arbeitsgerichtlichen Verfahren entsprechend. Danach führt die sofortige Beschwerde zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung des Überprüfungsverfahrens nach § 120a Abs. 1 ZPO an das ArbG.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft sowie frist- und formgerecht i.S.v. § 127 Abs. 2 S. 3, § 569 Abs. 2 ZPO eingelegt worden.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Das ArbG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu Unrecht aufgehoben.

a) Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe u.a. dann aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 S. 1, 2. Alt. ZPO dem Gericht Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitteilt.

aa) Die Regelung ist anders als die Vorgängerregelung nicht mehr als Kannvorschrift sondern als Sollvorschrift ausgestaltet. Das bedeutet, dass dem Gericht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich kein Ermessen mehr eingeräumt ist. In atypischen Fällen soll das Gericht jedoch nach wie vor die Möglichkeit haben, von einer Aufhebung abzusehen, um unangemessene Ergebnisse zu vermeiden (BT-Drucks 17/11472 S. 34). Dadurch wird ein gebundenes Ermessen eröffnet (Groß, § 124 Rn 33; Beck-OK-Kratz, § 124 Rn 6). Ob ein atypischer Fall vorliegt, der den Weg zu der gebundenen Ermessensentscheidung eröffnet, ist nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern dieser vorgelagert (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15, Rn 14; v. 5.3.2015 – 17 Ta 2/14, Rn 21).

bb) "Unverzüglich” bedeutet entsprechend der Legaldefinition in § 121 BGB nicht "sofort”, aber "ohne schuldhaftes Zögern”, d.h. innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (LAG Baden-Württemberg v. 5.3.2015 – 17 Ta 2/14, Rn 15, a.a.O.). Es wird deshalb von einer Partei nicht verlangt, ihren Wohnungswechsel dem Gericht innerhalb weniger Tage nach dem Umzug bekannt zu machen. Es ist nachvollziehbar und auch nicht zu beanstanden, wenn ein gewisser – kurzer – Zeitraum zwischen dem Wohnungswechsel und der Nachricht an das Gericht vergeht (LAG Baden-Württemberg v. 5.3.2015 – 17 Ta 2/14, a.a.O.; LAG Düsseldorf v. 5.12.2014 – 2 Ta 555/14)."""

cc) Subjektiv muss die Partei absichtlich oder zumindest grob nachlässig gegen die Mitteilungspflicht verstoßen haben (LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15, a.a.O.; v. 5.3.2015 – 17 Ta 2/14, a.a.O.; LAG Düsseldorf v. 5.12.2014 – 2 Ta 555/14, a.a.O.; Nickel, MDR 2013, 890, 894; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Rn 847; BLAH, § 124 Rn 51; Zöller-Geimer, § 124 Rn 17; Beck-OK-Kratz, § 124 Rn 23a). Soweit teilweise vertreten wird, das Erfordernis eines zumindest grob nachlässigen Verstoßes beziehe sich nur auf die inhaltliche Richtigkeit der Mitteilung (Musielak-Fischer, § 124 Rn 8a; Groß, § 124 Rn 21), steht dem der Sanktionscharakter der Vorschrift (BT-Drucks 17/11472 S. 35) entgegen (Beck-OK-Kratz, a.a.O., sowie ausführlich LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15, a.a.O.).

dd) Der Begriff "grobe Nachlässigkeit” entspricht dem z.B. auch in § 296 ZPO verwandten Begriff der prozessualen groben Fahrlässigkeit (Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, § 124 Rn 839 m.w.N.; vgl. auch LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15; BLAH, § 124 Rn 51). Danach liegt grobe Nachlässigkeit nur vor, wenn die Prozesskostenhilfepartei ihre Mitteilungspflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat, indem sie die im Prozess erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dabei dasjenige unbeachtet gelassen hat, was jeder Partei hätte einleuchten müssen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15 m.w.N., a.a.O.)."

ee) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe darf nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nur aufgehoben werden, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung gegeben sind. Zweifel stehen der Aufhebung entgegen und gehen nicht zu Lasten der Prozesskostenhilfepartei (LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15, a.a.O.; Zöller-Geimer, § 124 Rn 22; BLAH, § 124 Rn 21).

Vor der Entscheidung über die Aufhebung ist der Partei nach Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren (Musielak-Fischer, § 124 Rn 3; BLAH, § 124 Rn 19; Zöller-Geimer, § 124, Rn 21). Hierfür ist ihr eine angemessene Frist zu setzen (Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Rn 857).

Ob die Partei gehalten ist, die Gründe für die unterlassene Mitteilung darzulegen, ist umstritten (dafür OLG Zweibrücken v. 31.8.2007 – 5 W 5/07, FamRZ 2008, 160; OLG Koblenz v. 19.2.1993 – 13 WF 9/93, FamRZ 1996, 616; wohl auch LAG Düsseldorf v. 5.12.2014 – 2 Ta 555/14; a.A. unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift BLAH, § 124 Rn 38, dem folgend LAG Baden-Württemberg v. 10.6.2015 – 4 Ta 8/15, a.a.O.; v. 5.3.2015 – 17 Ta 2/1...

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