§ 86 VVG; § 17 Abs. 9 ARB 2010; §§ 670, 675 BGB; Nr. 1211 GKG KV; § 29 KostVfG

Leitsatz

  1. Hat der Rechtsschutzversicherer Gerichtskosten gezahlt und erstattet die Gerichtskasse nicht verbrauchte Gerichtskosten an den Rechtsanwalt, geht der Anspruch des rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Rechtsanwalt, alles herauszugeben, was er aus der anwaltlichen Geschäftsbesorgung erlangt, insoweit auf den Rechtsschutzversicherer über.
  2. Für Erstattungsansprüche aufgrund überzahlter Gerichtskosten besteht in der Rechtsschutzversicherung kein Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers.

BGH, Urt. v. 10.6.2021 – IX ZR 76/20

I. Sachverhalt

Die Klägerin ist ein Rechtsschutzversicherer. Ihre Versicherungsnehmer mandatierten die beklagte Rechtsanwaltssozietät mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen eine Bank. Hierfür wurde Deckung für das Klageverfahren in erster Instanz erteilt, nicht jedoch auch für vorherige die außergerichtliche Interessenwahrnehmung. Auf eine Rechnung der Beklagten zahlten die Versicherungsnehmer die Gebühren für die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit an die beklagte Anwaltskanzlei.

Der Rechtsstreit der Versicherungsnehmer gegen die Bank endete mit einem Vergleich. Darin wurden die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben. Zudem hatte die Bank auf die außergerichtlichen Kosten der Versicherungsnehmer an die Versicherungsnehmer 2.042,51 EUR zu zahlen, was 50 % der Gesamtkosten entsprach. Das Gericht überwies aufgrund einer Kostenrechnung an die Beklagte als Prozessbevollmächtigte der Versicherungsnehmer unverbrauchte Gerichtskosten i.H.v. 2.772,00 EUR. Die Beklagten teilten der Klägerin diese Rückzahlung und die Erstattung der hälftigen weitere Gerichtgebühr durch die Bank i.H.v. 873,00 EUR mit. Von dem Gesamtbetrag von 3.645,00 EUR seien 50 % der Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit und die Kosten für die Einholung der Deckungszusage i.H.v. 958,19 EUR abzuziehen. Den Restbetrag i.H.v. 644,29 EUR überwiesen die Beklagten an die Klägerin. Nachdem die Klägerin die Beklagten zur Auskehr der einbehaltenen und verrechneten Gerichtskosten aufgefordert hatte, erklärten die Beklagten namens und in Vollmacht der Versicherungsnehmer die Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch für die von diesen an die Beklagten gezahlten Kosten der außergerichtlichen Tätigkeit und der Einholung der Deckungszusage.

Das AG hat die auf Zahlung von 2.127,71 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG (Urt. v. 6.3.2020 – 4 S 227/18) die Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hatte keinen Erfolg.

II. Die Begründung des Berufungsgerichts

Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, dass die Klägerin gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 2.127,71 EUR habe. Der Anspruch der Versicherungsnehmer gegen die Beklagte auf Auskehr der von der Gerichtskasse an die Beklagten als Zahlstelle der Versicherungsnehmer gezahlten unverbrauchten Gerichtskosten nach §§ 675 Abs. 1, 667 BGB sei gem. § 86 VVG und § 17 Abs. 9 ARB 2000 auf die Klägerin übergegangen. Dieser auf die Klägerin übergegangene Auskehranspruch sei nicht nach §§ 387, 389 BGB durch die von den Beklagten für die Versicherungsnehmer erklärte Aufrechnung mit etwaigen Erstattungsansprüchen erloschen. Es fehle an der Gleichartigkeit und der Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen. Zudem verstoße die Aufrechnung gegen die Zweckbindung der von der Klägerin erbrachten Zahlungen.

III. Anspruchsübergang

Der BGH geht ebenso wie das Berufungsgericht davon aus, dass hier ein Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 S. 1 RVG stattgefunden habe.

a) Die Rechtsschutzversicherung sei eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 S. 1 VVG gelten (BGH NJW 2020, 1585 m.w.N.). Nach dieser Regelung gehe ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetze. Hierbei handele es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang i.S.d. §§ 412 ff. BGB.

b) Die Klägerin habe ihren Versicherungsnehmern i.S.d. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG i.H.v. insgesamt 13.532,59 EUR einen Schaden ersetzt, weil sie 4.518,00 EUR für Gerichtskosten und 9.024,59 EUR für die Vergütung der gerichtlichen Tätigkeit der Beklagten aufgewendet habe. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Gerichtskosten später auf 1.746,00 EUR ermäßigt hätten.

In der Rechtsschutzversicherung stelle der Anspruch auf Kostenbefreiung die Hauptleistung des Versicherers dar. Die Kosten der Rechtsverfolgung würden den Schaden bilden, dessen Deckung der Rechtsschutzversicherer übernommen habe (BGH r+s 1999, 285, 286 m.w.N.; Prölss/Martin/Piontek, VVG, 31. Aufl., § 1 ARB 2010 Rn 26). Der Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers sei auf Befreiung von den bei der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten gerichtet (BGHZ 202, 122 Rn 28; VersR 2015, 1501 Rn 30 m.w.N.). Dabei erfülle der Versicherer den bestehenden Befreiungsanspruch noch nicht dadurch, dass er dem Versicherungsnehmer einen entsprechenden Betrag zur Verfügung stelle (BGHZ 202, 122 ...

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