Leitsatz (amtlich)

Dem Rechtsschutzversicherer, der einen Prozess vorfinanziert hat, steht zur Ermittlung eines möglichen Herausgabeanspruchs ein Auskunftsanspruch gegen den durch seinen Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt zu.

Finanziert der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis seines Versicherungsnehmers einen Prozess und überlässt der Mandant dem beauftragten Rechtsanwalt den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer, ist von einer konkludenten Entbindung des Rechtsanwalts von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den rechtsschutzversicherten Mandanten auszugehen, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft.

 

Normenkette

BGB §§ 666-667; VVG § 86 Abs. 1; BRAO § 43a Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 01.04.2019; Aktenzeichen 50 S 22/18)

AG Berlin-Schöneberg (Entscheidung vom 04.01.2018; Aktenzeichen 2 C 226/17)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des LG Berlin - Zivilkammer 50 - vom 1.4.2019 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Versicherungsnehmer der Klägerin suchte den Beklagten zu 2), der zusammen mit einer Rechtsanwältin die beklagte Anwaltssozietät zu 1) betrieb, in einer Verkehrsunfallsache zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf. Die Klägerin erteilte jeweils auf Anforderungen Deckungszusagen für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit der Beklagten. Insgesamt wurden von der Klägerin bis Juli 2016 Kostenvorschüsse i.H.v. 2.862,26 EUR gezahlt. Hiervon wurde der Klägerin im September 2016 ohne weitere Informationen ein Betrag i.H.v. 1.309,41 EUR zurückerstattet. Nachfolgende schriftliche Anfragen der Klägerin hinsichtlich des Sachstands des Verfahrens beantworteten die Beklagten nicht. Die Klägerin mandatierte ihrerseits Rechtsanwälte, welche die Beklagten mehrfach erfolglos zur Auskunft aufforderten. Letztere lehnten eine Auskunftserteilung ab. Die nachfolgend gegen die Beklagten erhobene Klage hat die Klägerin hinsichtlich des Auskunftsbegehrens für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte zu 2) in dem erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung am 9.11.2017 Angaben zu dem Stand des Verfahrens gemacht hatte. Den weiteren Antrag, die Beklagten zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verurteilen, hat die Klägerin aufrechterhalten. Die Beklagten haben an ihrem Abweisungsantrag festgehalten. Das AG hat die Beklagten zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das LG zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 2

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Teilerledigung umfasste Klage sei ursprünglich begründet gewesen und infolge der Angaben des Beklagten zu 2) unbegründet geworden, denn die Klägerin sei Inhaberin des geltend gemachten Auskunftsanspruchs aus §§ 675, 666, 667, 401, 412 BGB, § 86 VVG. Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts stehe dem Anspruchsübergang nicht entgegen, weil in derartigen Fällen der Mandant den Anwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbinde und stillschweigend zum Ausdruck bringe, dass dieser gegenüber dem Rechtsschutzversicherer in Kostenfragen uneingeschränkt kommunizieren könne. Diese Entbindungserklärung des Mandanten umfasse nach interessengerechter Auslegung auch eine etwaige Mitteilung des Rechtsanwalts an den Versicherer über den Stand des Verfahrens. Der Forderungsübergang nach § 86 VVG führe aber nicht zu einer generellen Auswechslung der Gläubigerstellung des Mandanten hinsichtlich seiner Rechte aus dem Anwaltsvertrag, sondern nur zu dem Übergang einzelner Auskunftsansprüche, deren jeweiliger Inhalt sich nach § 666 BGB bestimme. Durch die Erklärung des Beklagten zu 2) in dem Termin sei die Klägerin über den Verfahrensstand in Kenntnis gesetzt worden. Schließlich hätten sich die Beklagten mit der Auskunftserteilung im Verzug befunden und deshalb der Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten.

II.

Rz. 4

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

Rz. 5

1. Wenn und soweit ein Kläger die Hauptsache einseitig für erledigt erklärt, der Beklagte dem aber widerspricht und insoweit Klageabweisung beantragt, hat das Gericht, wie hier geschehen, durch Urteil darüber zu entscheiden, ob eine Erledigung eingetreten ist oder nicht (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2019 - V ZR 71/18, ZMR 2019, 775 Rz. 7 m.w.N.).

Rz. 6

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen, soweit das AG entschieden hat, dass die von der Teilerledigung umfasste Klage ursprünglich zulässig und begründet war und infolge der im erstinstanzlichen Termin am 9.11.2017 erteilten Auskunft des Beklagten zu 2) unbegründet wurde.

Rz. 7

a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin Inhaberin des geltend gemachten Auskunftsanspruchs aus § 666 BGB war.

Rz. 8

aa) Feststellungen dahingehend, dass zwischen der Klägerin als Rechtsschutzversicherer und den Beklagten als Prozessbevollmächtigten des Versicherungsnehmers unmittelbare vertragliche Beziehungen bestanden hätten, sind nicht getroffen worden. Dagegen wird seitens der Revision auch nichts erinnert.

Rz. 9

bb) Der Klägerin stand gegen die Beklagten aber ein Auskunftsanspruch nach § 666 BGB aus gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangenem Recht zu.

Rz. 10

(1) Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt. Nach dieser Regelung geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt (vgl. BGH, Urt. v. 23.7.2019 - VI ZR 307/18, ZInsO 2019, 1939 Rz. 8 m.w.N.). Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang i.S.d. §§ 412 ff. BGB. Schon mit der Klageerhebung stand dem Versicherungsnehmer der Klägerin ein aufschiebend bedingter Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner zu, denn das Prozessrechtsverhältnis lässt bereits den prozessualen Kostenerstattungsanspruch entstehen. Dieser ist allerdings aufschiebend bedingt durch den Erlass einer entsprechenden Kostengrundentscheidung (vgl. BGH, Urt. v. 22.5.1992 - V ZR 108/91 WM 1992, 1922, 1923 m.w.N.; v. 1.12.2005 - IX ZR 115/01 ZIP 2006, 194 Rz. 25; Beschl. v. 6.2.2014 - IX ZB 57/12 ZIP 2014, 480 Rz. 14). Indem die Klägerin unstreitig für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit der Beklagten bis Juli 2016 Kostenvorschüsse i.H.v. insgesamt 2.862,26 EUR geleistet hat, hat sie ihrem Versicherungsnehmer i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG "einen Schaden ersetzt". Durch die Zahlung dieser Vorschüsse ist der aufschiebend bedingte Kostenerstattungsanspruch ihres Versicherungsnehmers gegen den Prozessgegner auf die Klägerin übergegangen.

Rz. 11

(2) Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Auskehrung der von dem Prozessgegner geleisteten Zahlungen zu. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob der Klägerin ein eigener Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 Satz 2, 667 BGB) zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 23.7.2019 - VI ZR 307/18, ZInsO 2019, 1939 Rz. 8 m.w.N.). Leistet der Prozessgegner an den von dem Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt Zahlungen, so geht der vertragliche Anspruch des Versicherungsnehmers auf Herausgabe des Erlangten aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB gegen seinen Rechtsanwalt gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über (vgl. BGH, a.a.O.). Entsprechend diesen Grundsätzen haben die Beklagten der Klägerin einen Betrag i.H.v. 1.309,41 EUR bereits erstattet, denn der Beklagte zu 2) hat in dem erstinstanzlichen Termin am 9.11.2017 erklärt, es habe sich insoweit um eine Leistung der Gegenseite des Versicherungsnehmers der Klägerin auf vorgerichtliche Anwaltskosten gehandelt.

Rz. 12

(3) Dem Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB folgt der Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Rechtsanwalt als Hilfsrecht in analoger Anwendung von §§ 412, 401 BGB. Neben den in § 401 BGB ausdrücklich genannten Rechten wird diese Vorschrift u.a. auf solche Hilfsrechte entsprechend angewandt, die zur Geltendmachung oder Durchsetzung einer Forderung erforderlich sind. Solche Nebenrechte sind insb. Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung, die darauf abzielen, den Gegenstand und Betrag des Hauptanspruchs zu ermitteln (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.2012 - VII ZB 50/11 BGHZ 196, 62 Rz. 8 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen stand der Klägerin zur Ermittlung eines möglichen Herausgabeanspruchs aus § 667 BGB ein Auskunftsanspruch gegen die Beklagten zu.

Rz. 13

(4) Dieser Auskunftsanspruch bezog sich sowohl auf den bereits an die Klägerin ausgekehrten Betrag i.H.v. 1.309,41 EUR als auch auf den noch nicht abgerechneten Betrag i.H.v. 1.552,85 EUR. Denn die Klägerin hatte sowohl Anspruch auf Auskunft, warum ihr ein Betrag erstattet worden war, als auch, ob bezüglich der weiteren von ihr geleisteten Kostenvorschüsse Erstattungsansprüche erlangt worden sind. Diesen Grundsätzen entsprechend hat die Klägerin Auskunft von den Beklagten verlangt.

Rz. 14

b) Dem Anspruchsübergang stand vorliegend auch nicht die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO entgegen. Eine Entbindung von der Schweigepflicht kann durch den Mandanten ausdrücklich erklärt werden, aber grundsätzlich auch durch schlüssiges Handeln erfolgen (vgl. Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43a Rz. 25). Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der rechtsschutzversicherte Mandant, wenn der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis des Mandanten einen Prozess vorfinanziert und der Mandant dem Rechtsanwalt auch den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer überlässt, den Anwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden hat, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft (vgl. LG Heidelberg, ZfSch 2017, 160, 161; LG Bochum, JurBüro 2012, 536, 537; LG Düsseldorf, r+s 2000, 157, 158; OLG Düsseldorf VersR 1980, 231; Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, 4. Aufl., § 43a Rz. 70; Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., Rz. 890; Hambloch, JurBüro 2013, 623; Schons, AGS 2012, 323, 324; van Bühren, NJW 2007, 3606, 3609; a.A. Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43a Rz. 25a). Denn nur auf diese Weise kann der Rechtsanwalt den Auftrag des Mandanten und dessen Auskunftspflicht seinem Rechtsschutzversicherer gegenüber sachgerecht erfüllen (vgl. Henssler/Prütting-Henssler, a.a.O.; van Bühren, a.a.O.).

Rz. 15

c) Der Auskunftsanspruch der Klägerin ist durch Erfüllung erloschen, denn der Beklagte zu 2) hat in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 9.11.2017 Angaben zu dem Stand des Verfahrens gemacht. Ihrem Inhalt nach richtet sich die aus § 666 BGB folgende Auskunftspflicht danach, was nach dem Gegenstand der Besorgung, der Üblichkeit im Geschäftsverkehr und dem Zweck der verlangten Information unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erwartet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2011 - - III ZR 71/11, BGHZ 192, 1 Rz. 20 m.w.N.). Dafür, dass die von dem Beklagten zu 2) in dem Termin der Klägerin erteilten Auskünfte diesen Grundsätzen widersprochen hätten, gibt es vorliegend keinen Anhaltspunkt.

Rz. 16

d) Soweit die zunächst zulässige und begründete Klage die begehrte Auskunft betraf, ist sie nachträglich gegenstandslos geworden. Die Erledigung des Rechtsstreits ist insoweit durch die Vordergerichte zutreffend festgestellt worden.

Rz. 17

3. Schließlich hat das Berufungsgericht zu Recht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, soweit diese zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin verurteilt worden sind. Die konkludente Entbindung der Beklagten von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den Versicherungsnehmer war bereits erfolgt, als die Klägerin den auf sie übergegangenen Auskunftsanspruch zunächst selbst und nachfolgend durch ihre Rechtsanwälte geltend gemacht hat. Der Klägerin sind die beanspruchten Rechtsanwaltskosten zutreffend unter Verzugsgesichtspunkten zuerkannt worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13725453

BB 2020, 577

DB 2020, 556

DStR 2020, 12

DStR 2020, 14

NJW 2020, 1585

NJW 2020, 8

NWB 2020, 1755

EWiR 2020, 303

WM 2020, 527

ZAP 2020, 395

ZIP 2020, 561

AnwBl 2020, 365

JZ 2020, 213

MDR 2020, 485

VersR 2020, 476

AGS 2020, 258

RENOpraxis 2020, 167

RVGreport 2020, 196

VK 2020, 130

VRR 2020, 3

r+s 2020, 276

AK 2020, 98

BRAK-Mitt. 2020, 145

FMP 2020, 97

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