Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin ist der Festsetzungsbeschluss des AG abzuändern. Die zu erstattenden notwendigen Auslagen sind – wie beantragt – auf 843,89 EUR inkl. Mehrwertsteuer festzusetzen.

1. Die (form- und fristgerechte) Erinnerung ist statthaft, § 464b S. 3 StPO i.V.m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 Abs. 2 RPflG.

2. Die Erinnerung hat in der Sache Erfolg.

Dem Wortlaut der Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV nach entsteht die Gebühr, wenn die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird, weil das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.

a) Zunächst ist festzustellen, dass die für den 1.10.2019 anberaumte Hauptverhandlung aufgrund der Mitwirkung der Pflichtverteidigerin entbehrlich wurde.

Als Mitwirkungshandlung ausreichend ist jede zur Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit (BGH 18. 9. 2008 – IX ZR 174/07). Die Übersendung eines Antrages auf Erlass eines Haftbefehls mit der Anregung das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO einzustellen ist eine solche die Erledigung des Verfahrens fördernde Handlung. Diese Anregung führte auch zu der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, sodass die Durchführung der Hauptverhandlung am 1.10.2019 entbehrlich wurde.

b) Bei der Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO handelt es sich nicht um eine nicht nur vorläufige Verfahrenseinstellung i.S.d. Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV.

Zwar handelt es sich dem Wortlaut des § 154 Abs. 2 StPO nach um eine "vorläufige" Einstellung. Gleichwohl wird angenommen, dass auch die Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i.S.d. Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV ist (vgl. OLG Köln 18.10.2017 – III-2 Ws 673/17 [= AGS 2018, 12]; LG Saarbrücken 6.3.2015 – 4 KLs 22/13 [= AGS 2015, 225]; OLG Stuttgart 8.3.2010 – 2 Ws 29/10 [= AGS 2010, 292]; Kremer, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10 Aufl., VV 4141, Rn 12; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 4141, Rn 17).

Auch losgelöst von der Frage, ob es sich bei der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO um eine Einstellung Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV handelt, die die Gebühr auslöst, ist allgemein anerkannt, dass es sich bei § 154 Abs. 2 StPO – entgegen dem Wortlaut – um eine endgültige Einstellung des Strafverfahrens handelt (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn 17 m.w.N.; Teßmer, in: MüKo-StPO, 1. Aufl., § 154, Rn 65; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 154, Rn 24). Begründet wird diese Sichtweise mit den zutreffenden Erwägungen, dass mit der Einstellung eines Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO die gerichtliche Anhängigkeit des Verfahrens beendet ist und die Entscheidung in (beschränkte) materielle Rechtskraft erwächst. Der Einstellungsbeschluss schafft somit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Prozesshindernis, dass nur unter den Voraussetzungen des § 154 Abs. 3Abs. 5 StPO beseitigt werden kann. Dementsprechend hat der erkennende Spruchkörper des Gerichtes gem. § 464 StPO eine – verfahrensabschließende – Kostenentscheidung getroffen (vgl. zu diesem Erfordernis Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., StPO, § 154, Rn 18 sowie § 464, Rn 6).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Wirkungen einer Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO ist der allgemeinen Sichtweise beizupflichten, dass die Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung i.S.d. Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV ist. Denn die Gebühr Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV soll gerade honorieren, dass das bei Gericht anhängige Verfahren ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erledigt wird. In dem anhängigen Strafverfahren entsteht dementsprechend auch keine Termingebühr nach Nr. 4108 VV. Diese Erfolge treten mit der Beseitigung der Anhängigkeit bei Gericht endgültig ein, unabhängig davon, ob das Verfahren auf der Grundlage eines Wiederaufnahmebeschlusses gem. § 154 Abs. 5 StPO erneut gerichtlich anhängig werden sollte.

c) Da die Gebühr Nr. 4147 VV nicht entstanden ist, ist die Festsetzung der Gebühr Nr. 4141 VV letztlich auch zulässig, wie Nr. 4141 Abs. 2 S. 2 VV bestimmt.

AGS 11/2020, S. 508 - 509

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