RVG VV Nr. 4141

Leitsatz

  1. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 4141 VV ist es erforderlich, dass eine Revisionshauptverhandlung anberaumt wurde oder konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, wenn nicht die Revision zurückgenommen worden wäre (Aufgabe der bisherigen Rspr. des Senats, s. Beschl. v. 19.7.2005 – 2 Ws 151/05).
  2. Ob eine Hauptverhandlung zu erwarten ist, lässt sich in der Regel erst beurteilen, wenn die Akten dem Revisionsgericht vorgelegt wurden.
  3. Die Anknüpfung der Gebühr an die bloße Revisionsrücknahme oder das Vorliegen einer Revisionsbegründung widerspricht der gesetzgeberischen Intention, wonach eine Hauptverhandlung vermieden und eine Honorierung intensiver und zeitaufwendiger Tätigkeiten des Verteidigers erfolgen soll.

OLG Celle, Beschl. v. 20.5.2019 – 2 Ws 141/19

1 Sachverhalt

Der Verurteilte war durch das LG wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Am 16.8.2018 hat der Verurteilte über seinen Pflichtverteidiger gegen das Urteil Revision eingelegt, die mit der allgemeinen Sachrüge im Schriftsatz v. 15.10.2018 begründet wurde. Mit Schriftsatz v. 12.11.2018 nahm der Verteidiger namens und im Auftrag des Verurteilten die Revision zurück. Das LG entschied am gleichen Tag, dass der Verurteilte die Kosten der von ihm eingelegten Revision zu tragen hat.

Mit Vergütungsfestsetzungsantrag begehrte der Pflichtverteidiger u.a. die Erstattung der Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV i.H.v. 492,00 EUR. Das LG holte eine Stellungnahme der Bezirksrevisorin ein und wies darauf hin, dass die Gebühr nicht berücksichtigt werden könne, weil keine konkreten Anhaltspunkte bestünden, dass im Falle einer Fortführung des Rechtsmittelverfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre. Daraufhin legte der Verteidiger "Erinnerung gegen die Kostenentscheidung" ein.

Der anschließende Kostenfestsetzungsbeschluss umfasste alle im Antrag geltend gemachten Gebühren mit Ausnahme der Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV nebst anteiliger Umsatzsteuer. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verteidiger mit seiner am gleichen Tag beim LG eingegangenen Beschwerde.

Die Rechtspflegerin hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

2 Aus den Gründen

II. Das Verfahren wird dem Senat gem. § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG übertragen, weil die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweist.

III. 1) Die gem. § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, § 33 Abs. 3 S. 3 RVG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt die Grenze des § 33 Abs. 3 S. 1 RVG.

Soweit der Verteidiger bereits gegen das landgerichtliche Schreiben vom 17.12.2018 Erinnerung eingelegt hat, fehlte es an der Statthaftigkeit der Erinnerung, da ein Rechtsmittel erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung eingelegt werden kann (BGHSt 25, 187, 189). Abzustellen ist auf den Eingang des Rechtsmittels bei Gericht (OLG Jena NStZ-RR 2012, 180). Der Schriftsatz ging am 19.12.2018 ein, der Beschluss datiert vom 4.1.2019.

Die "Zurückweisung" der nachfolgend eingelegten Beschwerde durch das LG vom 4.2.2019 ist als Nichtabhilfeentscheidung i.S.v. § 33 Abs. 4 S. 1, 2. Hs. RVG auszulegen.

2) Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Gebühr nach Nr. 4141 VV setzt voraus, dass durch die anwaltliche Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wurde. Mit der Gebühr soll eine intensive und zeitaufwendige Tätigkeit des Verteidigers, die zur Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führt, gebührenrechtlich honoriert werden (BT-Drucks 15/1971, 227; vgl. OLG Celle, Beschl. v. 22.1.2014 – 1 Ws 19/14 [= AGS 2014, 125]; OLG München, Beschl. v. 16.10.2012 – 4 Ws 179/12 (K) [= AGS 2013, 174]; OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 96; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.5.2008 – 1 Ws 229/08; Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., 2018, Nr. 4141–4147 VV, Rn 2; Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., 2017, VV 4141, Rn 1; Bischof/Jungbauer u.a., RVG, 8. Aufl., 2018, Nrn. 4100–4304 VV, Rn 107) Dies gilt auch, wenn – wie hier – eine Revision zurückgenommen wurde (so explizit Abs. 1 Nr. 3 der Norm).

Unter welchen Voraussetzungen die vorgenannte Gebühr bei der Rücknahme einer Revision jedoch entsteht, ist in Rspr. und Lit. umstritten: Eine Auffassung macht das Entstehen der Gebühr nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.9.2005 – 1 Ws 288/05 [= AGS 2006, 124]; LG Hagen, Beschl. v. 23.2.2006 – 51 KLs 400 Js 815/04 (21/05); LG Verden StraFo 2005, 439; Gerold/Schmidt, VV 4141, Rn 39; Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., 2017, Nr. 4141 VV, Rn 37; Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl., 2017, VV 4141, Rn 136 ff., insbes. Rn 137). Bereits der Wortlaut der detaillierten Regelung sei insoweit eindeutig (Schneider/Wolf, VV 4141, Rn 137). Zudem habe nach vorheriger Rechtslage § 84 Abs. 2 BRAGO mangels Verweisung in § 86 BRAGO nicht für das Revisions...

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