Die Frage, wie mehrere Geschäftsgebühren anzurechnen sind, wenn die betreffenden Gegenstände in nachfolgenden gerichtlichen Verfahren gemeinsam geltend gemacht werden, ist strittig.

Das OVG Nordrhein-Westfalen folgt der vom OLG Koblenz[1] vertretenen Auffassung, wonach das Anrechnungsaufkommen in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG auf eine hälftige Gebühr nach dem höchsten anzurechnenden Gebührensatz aus dem Gesamtwert aller Gegenstände begrenzt sei, und hat wie folgt gerechnet:

 
Praxis-Beispiel

I. Erstes Widerspruchsverfahren (Wert: 5.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   391,30 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 411,30 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   78,15 EUR
Gesamt   489,47 EUR

II. Zweites Widerspruchsverfahren (Wert: 5.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   391,30 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 411,30 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   78,15 EUR
Gesamt   489,47 EUR

III. Drittes Widerspruchsverfahren (Wert: 5.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   391,30 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 411,30 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   78,15 EUR
Gesamt   489,47 EUR

IV. Gerichtliches Verfahren (Wert: 15.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV     735,80 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
4. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
  Insgesamt nicht mehr als 0,65   – 367,90 EUR  
  aus 15.000,00 EUR      
5. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   679,20 EUR  
6. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR  
  Zwischensumme 1.067,10 EUR    
7. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   202,75 EUR  
Gesamt   1.269,85 EUR  

Der BGH ist anderer Auffassung.

 
Hinweis

Fällt die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts mehrfach an und werden die vorgerichtlich geltend gemachten Ansprüche im Wege objektiver Klagehäufung in einem einzigen gerichtlichen Verfahren verfolgt, so dass die Verfahrensgebühr nur einmal anfällt, sind alle entstandenen Geschäftsgebühren in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

BGH, Beschl. v. 28.2.2017 – I ZB 55/16[2]

Danach wäre jede einzelne Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen. Eine Begrenzung des gesamten Anrechnungsaufkommens ist nach Auffassung des BGH nicht vorzunehmen. Dabei nimmt der BGH in Kauf, dass die Summe der anzurechnenden Gebührenhälften letztlich mehr ausmachen kann, als die Verfahrensgebühr, die der Anwalt im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren erhält. Der BGH schränkt seine Auffassung lediglich insoweit ein, als die Anrechnung nicht zu einem negativen Ergebnis führen könne. Die Anrechnung mehrerer hälftiger Geschäftsgebühren kann danach also maximal die nachfolgende Verfahrensgebühr zu Fall bringen. Sie kann dagegen nicht zu einem negativen Ergebnis führen, etwa dergestalt, dass noch auf weitere Gebühren anzurechnen wäre oder gar der Anwalt Geld zurückzahlen müsste.

Danach wäre im gerichtlichen Verfahren wie folgt zu rechnen gewesen:

 
Praxis-Beispiel

IV. Gerichtliches Verfahren (Wert: 15.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 735,80 EUR    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
4. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, – 195,65 EUR    
  0,65 aus 5.000,00 EUR      
  verbleibende restliche Verfahrensgebühr     148,85 EUR
5. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV     679,20 EUR
6. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV     20,00 EUR
  Zwischensumme 848,05 EUR    
7. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   161,13 EUR  
Gesamt   1.009,18 EUR  

Der Unterschied beträgt 260,67 EUR.

Eine Klarstellung des Gesetzgebers wäre wünschenswert.

Norbert Schneider

AGS 11/2017, S. 3 - 499

[1] AGS 2009, 167 = JurBüro 2009, 304.
[2] AGS 2017, 170 = WRP 2017, 553 = AnwBl 2017, 558 = MDR 2017, 670 = JurBüro 2017, 245 = NJW 2017, 1821 = BRAK-Mitt 2017, 133 = FamRZ 2017, 990 = Rpfleger 2017, 483 = NJW-Spezial 2017, 315 = RVGreport 2017, 220 = RVGprof. 2017, 96 = ErbR 2017, 361.

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