Die beantragten Gebühren sind seitens des Rechtspflegers des AG zu Recht gekürzt worden.

Der Verteidiger kann die Grundgebühr nach Nr. 4101 VV, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV und die Postpauschale nach Nr. 7002 VV nur einmal für das führende Verfahren 493 Js 23098/12, nicht jedoch auch für das hinzuverbundene Verfahren 493 Js 8358/13 geltend machen. Die nach der Verbindung der beiden Verfahren erfolgte Beiordnung des Verteidigers führt ohne Erstreckungsentscheidung des AG nicht dazu, dass dieser für die bis zur Verbindung entfalteten Tätigkeiten als Wahlverteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren auch Pflichtverteidigergebühren abrechnen kann.

Nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Werden Verfahren miteinander verbunden, kann das Gericht nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG diese Wirkungen auch auf Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung erfolgt war. Umstritten ist insoweit, ob die Regelung in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nur für den Fall gilt, dass zu einem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt wurde, später weitere Verfahren, in denen keine Beiordnung erfolgt ist, hinzuverbunden werden oder auch für den Fall, dass eine Verbindung der Verfahren erfolgt und erst anschließend in dem führenden Verfahren der Pflichtverteidiger bestellt wird.

Teilweise wird in der Rspr. die Auffassung vertreten, dass die Regelung in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nur auf nach der Beiordnung hinzuverbundene Verfahren anwendbar ist. Hieraus werden jedoch unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Während einige Gerichte der Ansicht sind, dass in diesem Fall nicht auf die Erstreckung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG zurückgegriffen werden müsse, sondern der Rechtsanwalt auch hinsichtlich der verbundenen Verfahren seine zuvor als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG geltend machen könne (OLG Jena v. 12.6.2008 – 1 AR (S) 13/18; OLG Bremen v. 7.8.2012 – Ws 137/11; LG Aurich v. 4.1.2011 – 12 Qs 213/10), vertritt das OLG Rostock die Auffassung, dass zwar für seine Tätigkeit in dem hinzuverbundenen Verfahren jeweils ein gesonderter Gebührenanspruch des Verteidigers gegen seinen Mandanten bestehe, er diesen jedoch grundsätzlich nicht als Pflichtverteidiger beanspruchen könne (OLG Rostock v. 27.4.2009 – I Ws 8/09). Nach der gegensätzlichen Meinung gilt die Vorschrift des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG für alle Fälle der Verfahrensverbindung, unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt ist. Eine Erstreckung soll dabei in der Regel angeordnet werden, wenn in dem Verbundverfahren eine Pflichtverteidigerbestellung unmittelbar bevorgestanden hätte (OLG Koblenz v. 30.5.2012 – 2 Ws 242/12 [= AGS 2012, 390]; OLG Braunschweig v. 22.4.2014 – 1 Ws 48/14 [= AGS 2014, 402]; OLG Oldenburg v. 27.12.2010 – 1 Ws 583/10; OLG Celle v. 2.1.2007 – 1 Ws 575/06).

Die Kammer folgt der letztgenannten Auffassung.

Aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 6 RVG ergeben sich keine Anhaltspunkte für die eine oder die andere Auslegung der Vorschrift. So enthält einerseits § 48 Abs. 6 S. 1 RVG weder eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs auf das führende Verfahren, noch einen Hinweis auf die Geltung auch für hinzuverbundene Verfahren, andererseits ergibt sich aus der Formulierung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch keine Einschränkung auf ausschließlich nach der Beiordnung verbundene Verfahren.

Für die hiesige Auffassung spricht jedoch der sich aus der Gesetzesbegründung ergebende Wille des Gesetzgebers. Danach sollte mit der Einführung von S. 3 einerseits klargestellt werden, dass sich die Rückwirkung von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG nicht automatisch auf verbundene Verfahren erstreckt, in denen bisher kein Pflichtverteidiger bestellt war, andererseits sollte dem Gericht die Möglichkeit der Erstreckung auf hinzuverbundene Verfahren eingeräumt werden. Dabei sollte eine solche Erstreckung insbesondere in Betracht kommen, wenn in einem der verbundenen Verfahren eine Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte (BT-Drucks 15/1971, S. 200 f). Dieser Begründung ist zu entnehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers ein Gebührenanspruch des Pflichtverteidigers gegen die Staatskasse bei hinzuverbundenen Verfahren nicht automatisch, sondern nur dann entstehen soll, wenn das Gericht nach einer am Einzelfall orientierten Ermessensentscheidung die Erstreckung angeordnet hat. Eine zeitliche Einschränkung auf erst nach der Beiordnung hinzuverbundene Verfahren, wie sie teilweise in der Rspr. vertreten wird, kann der Begründung nicht entnommen werden. Vielmehr ist nach der Gesetzesbegründung, unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt ist, die Geltendmachung von Gebühren für hinzuverbundene Verfahren generell nur möglich, wenn durch das Gericht die Erstreckung angeordnet wurde. Es gibt daher keinen Grund, den Gebührenanspruch des als Wahlverteidiger tätig...

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