Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Fortsetzung des Berufungsverfahrens ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 114 S. 1 ZPO).

Beruft sich ein Beteiligter nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit einem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens auf eine im Wege der Irrtumsanfechtung rückwirkend herbeigeführte Nichtigkeit des Prozessvergleichs, hat das bisher mit der Sache befasste Gericht hierüber zu befinden. Wenn es die Nichtigkeit als gegeben ansieht, hat es in dem dann anhängig gebliebenen Rechtsstreit über die Berechtigung der ursprünglich geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden (BGH, Urt. v. 3.12.1980 – VIII ZR 274/79, BGHZ 79, 71, 79 f.). Ist der Vergleich hingegen wirksam, ist die Fortsetzung des Verfahrens hingegen zu versagen (BGH, Beschl. v. 18.9.1996 – VIII ZB 28/96, NJW 1996, 3345, unter 2 a bb). Die weiteren Kosten treffen in diesem Fall denjenigen, der die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 794 Rn 15a).

Die erklärte Anfechtung des Prozessvergleichs hat nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB zur rückwirkenden Nichtigkeit des Vergleichs geführt. Weder liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor (1.), noch hat die Klägerin die Anfechtung unverzüglich erklärt (2.).

1. Gem. § 119 Abs. 1 BGB kann derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben hätte. Im vorliegenden Fall kommt allein ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung in Betracht.

a) Bei einem Inhaltsirrtum entspricht zwar der äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung. Nicht als Inhaltsirrtum anfechtbar sind Erklärungen, die auf einem im Stadium der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) beruhen (BGH, Beschl. v. 5.6.2008 – V ZB 150/07, BGHZ 177, 62). Ebenso wenig lässt sich im Grundsatz ein Anfechtungsrecht aus einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen herleiten, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten (Rechtsfolgenirrtum; BGH, a.a.O.). Ein Rechtsfolgenirrtum berechtigt als Inhaltsirrtum nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Rechtswirkungen erzeugt. Der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher und mittelbarer Rechtswirkungen oder Nebenfolgen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, ist demgegenüber als bloßer Motivirrtum unbeachtlich (BGH, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210, Rn 19; BGH, Urt. v. 10.7.2002 – VIII ZR 199/01, NJW 2002, 3100, unter II 1 f; Erman/Palm, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn 37; MüKo-BGB/Kramer, 5. Aufl., § 119 Rn 86; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 119 Rn 15 f.). Danach ist zwischen den unmittelbar erklärten und den nur mittelbaren Rechtsfolgen einer Willenserklärung zu unterscheiden (Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., § 36 Rn 73 ff.).

Einen beachtlichen Irrtum hat die ältere Rspr. z.B. bei der Anfechtung eines Prozessvergleichs bejaht, bei dem der anwaltliche Vertreter einer Vertragspartei die gesetzliche Folge des § 158c Abs. 4 VVG a.F. übersehen hatte (OLG Zweibrücken VersR 1977, 806). Dagegen spricht, wie oben ausgeführt, allerdings, dass ein Irrtum unbeachtlich ist, wenn er sich auf Rechtsfolgen bezieht, die nicht selbst Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung sind, sondern kraft Gesetzes eintreten. Aus diesem Grund hat die Rspr. in anderen Fällen die Irrtumsanfechtung eines Prozessvergleichs abgelehnt (OLG Hamm VersR 1998, 1440, unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, NJW 1995, 1484).

b) Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall ein unbeachtlicher Motivirrtum anzunehmen.

aa) Nach dem Inhalt des Prozessvergleichs hat sich die Klägerin, auch wenn sie mit Prozesskostenhilfe prozessierte, verpflichtet, Gerichtskosten zu tragen. Das bezieht sich auch auf von der Beklagten verauslagte Gerichtskosten. Unbeschadet der Kostenbefreiung nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ZPO bleibt somit gem. § 123 ZPO die Verpflichtung bestehen, die dem obsiegenden Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, zu denen auch etwaige von diesem verauslagte Gerichtskosten gehören. Die Klägerin hat diese Kosten im Vergleichsvertrag übernommen (unter Nr. 3c). Sie ist somit Übernahmeschuldnerin im Sinne von § 29 Nr. 2 GKG. Zwar darf gem. § 31 Abs. 3 GKG die Haftung eines anderen Kostenschuldners nicht geltend gemacht werden, wenn diesem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Dies gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung jedoch nur für den Entscheidungsschuldner (§ 29 Nr. 1 GKG), nicht für den Übernahmeschuldner (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 – III ZB 1...

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