1. Grundsätzlich Annahme von grober Fahrlässigkeit

Das OLG hat – anders als das LG – grobe Fahrlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 2 StrEG verneint. Ein grob fahrlässiges Verhalten i.S.v. § 5 Abs. 2 StrEG liege vor, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme durch sein Verhalten herausgefordert habe. Er müsse in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (BGH, Beschl. v. 24.9.2009 – 3 StR 350/09). Ob eine derartige schuldhafte Verursachung vorliege, sei ausschließlich nach zivilrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen (§ 254 Abs. 1, §§ 276 bis 278 BGB) zu beurteilen (vgl. KG, Besch. v. 11.1.2012 – 2 Ws 351/11 m.w.N.). Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte nach diesen Maßstäben Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben habe, sei aufgrund des Ausnahmecharakters des § 5 Abs. 2 StrEG ein strenger Maßstab anzulegen (BGH, Beschl. v. 28.6.2022 – 2 StR 229/21, StRR 4/2023, 23). Es reiche daher nicht aus, dass sich der Freigesprochene irgendwie verdächtig gemacht habe, vielmehr müsse er durch eigenes Verhalten einen wesentlichen Ursachenbeitrag zur Begründung des für die Anordnung der Untersuchungshaft erforderlichen dringenden Tatverdachts geleistet haben (BGH, Beschl. v. 24.9.2009 – 3 StR 350/09). In diesem Sinne liege regelmäßig ein grob fahrlässiges Verhalten vor, wenn sich der Beschuldigte gegenüber den Ermittlungsbehörden wahrheitswidrig selbst belaste (vgl. Abramenko, NStZ 1998, 176, 177). Dies gilt umso mehr, je schwerer der Tatvorwurf sei.

2. Anders bei Verstoß gegen eine strafprozessuale Belehrungspflicht

Liege der entsprechenden Erklärung des Beschuldigten allerdings ein Verstoß gegen die strafprozessuale Belehrungspflicht gem. § 136 Abs. 1, § 163a StPO zugrunde, rechtfertige die Selbstbelastung nicht ohne Weiteres den Vorwurf einer grob fahrlässigen Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme.

a) Herrschende Meinung

Allerdings werde z.T. angenommen, dass es für die Feststellung eines grob fahrlässigen Verhaltens unerheblich sein soll, ob hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Äußerungen des Beschuldigten ein strafprozessuales Verwertungsverbot wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung besteht, da sich ein solches nur auf den Nachweis des strafrechtlichen Schuldvorwurfes beziehe und die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten sichern solle. Für die im Rahmen des StrEG zu treffenden Annexentscheidungen könne dieses hingegen jedenfalls keine Fernwirkung dahin entfalten, dass von einem generellen Schweigen des Beschuldigten auszugehen wäre. Da es nicht um die Zuweisung strafrechtlicher Schuld, sondern die Zurechnung nach zivilrechtlichen Maßstäben gehe, liege auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.7.1997 – 3 Ws 84/96, NStZ 1998, 211; OLG Koblenz, Beschl. v. 22.8.2005 – 2 Ws 507/05, Justizblatt Rh.-Pf. 2005, 223; OLG Rostock, Beschl. v. 8.11.2004 – I Ws 269/04; Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil I Rn 352; MAH Strafverteidigung/Kotz/Arnemann, 3. Aufl., 2022, § 29 Rn 93; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., 2023, § 6 Rn 4; MüKo-StPO/Kunz, 2.Aufl., 2023 StrEG § 5 Rn 65, § 6 Rn 5).

b) Auffassung des OLG Köln

aa) Zu pauschal

Diese Ansicht könne jedoch – so das OLG – in ihrer Pauschalität nicht überzeugen, jedenfalls soweit hiermit auch die Auffassung verbunden sein sollte, dass der Inhalt von unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommenen Erklärungen im Rahmen von Entscheidungen über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen verwertbar sein soll. Gem. § 8 Abs. 1 StrEG sei die Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen dem Strafgericht zugewiesen. Hieraus folge, dass sich dieses Verfahren nach den Vorschriften der StPO richte. Bereits dies lege eine einheitliche Behandlung der strafprozessrechtlichen Beweisverwertungsverbote jedenfalls für diejenigen gerichtlich zu treffenden Endentscheidungen nahe, die – wie hier – eine dem Angeklagten belastende Wirkung entfalten können (vgl. Abramenko, NStZ 1998, 176, 177). Dies gelte umso mehr, als die Grundentscheidung über die Entschädigung des Beschuldigten bzw. freigesprochenen Angeklagten nach dem gesetzlichen Leitbild gem. § 8 Abs. 1 S. 1 StrEG in dem Urteil oder dem Beschluss, der das Verfahren abschließt, getroffen werden soll; sie sei insoweit Teil des Rechtsfolgenausspruchs (LR/Becker, StPO, 27. Aufl., 2022, § 244 Rn 31). Wäre eine für den Schuld- und Strafausspruch unverwertbare Äußerung des Beschuldigten im Rahmen der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG stets uneingeschränkt verwertbar, müsste sich die Amtsaufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) auch auf deren Inhalt erstrecken. Das Gericht wäre im Strafprozess daher selbst dann zur Aufklärung des Inhalts der Erklärung verpflichtet, wenn das Bestehen eines Verwertungsverbotes für den Schuld- und Str...

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