Leitsatz

Nach vorzeitiger Beendigung des Auftrags wegen Klagerücknahme verdient der Rechtsanwalt des Beklagten zu der 0,8 Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Nr. 1 VV) nicht noch zusätzlich eine 1,3 Verfahrensgebühr für den Kostenantrag gem. § 269 Abs. 4 ZPO (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG).

AG Nürtingen, Beschl. v. 21.7.2016 – 17 C 2651/15

1 Sachverhalt

Nach Zustellung der Klage über 1.000,00 EUR hatte die Beklagte ihre Verteidigungsbereitschaft anwaltlich anzeigen lassen. Hiernach wurde die Klage zurückgenommen, ohne dass ihr Anwalt bereits einen Sachantrag gestellt oder Sachvortrag eingereicht hatte. Der Anwalt meldete daraufhin eine 0,8 Verfahrensgebühr (Nrn. 3100, 3101 Nr. 1 VV) aus dem Wert der Hauptsache an sowie eine 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) aus dem Wert der Kosten, allerdings gem. § 15 Abs. 3 RVG begrenzt auf eine 1,3 Gebühr aus dem Wert der Hauptsache (insgesamt 124,00 EUR).

Die Rechtspflegerin setzte die beantragte Vergütung antragsgemäß fest.

Dagegen legten die Kläger Erinnerung ein und führten aus, dass der Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 ZPO gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG keine besondere Angelegenheit darstelle und keine gesonderten Gebühren auslöse.

Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Richterin hat ihm stattgegeben.

2 Aus den Gründen

Die befristete Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RpflG gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG Nürtingen ist zulässig und begründet.

1. Die Verfahrensgebühr beträgt gem. Nr. 3101 Nr. 1 VV eine 0,8 Gebühr, nachdem die Beklagte noch keinen Sachantrag gestellt, sondern lediglich ihre Verteidigungsbereitschaft angezeigt hatte, als das Verfahren durch die Klagerücknahme endete. Diese Verfahrensgebühr beträgt bei einem Streitwert von 1.000,00 EUR einschließlich der Pauschale netto 76,80 EUR (64,00 EUR zuzüglich 12,80 EUR).

2. Darüber hinaus steht den Beklagtenvertretern keine weitere Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert hinsichtlich des Kostenantrags zu.

Gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG gehört der Antrag auf Entscheidung über die Verpflichtung, die Kosten zu tragen, ausdrücklich zu den Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten bzw. zu solchen Verfahren, die mit dem Rechtszug oder dem Verfahren zusammenhängen (§ 19 Abs. 1 S. 1 RVG). Dies ist nicht anders zu beurteilen, wenn die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV sich gem. Nr. 3101 VV aufgrund der Klagerücknahme auf 0,8 reduziert hat. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG sieht keine Ausnahme im Falle der Reduzierung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV wegen der vorzeitigen Beendigung vor. Auch gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass insofern eine Regelungslücke in § 19 RVG vorliegen könnte.

Der anderweitig vertretenen Auffassung (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 19 Rn 99 und Anhang VI Rn 331), dass sich im Falle der Klagerücknahme der Beklagtenvertreter bei einer Reduzierung von lediglich einer 0,8 Verfahrensgebühr aus dem Hauptsachewert zusätzlich eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Kostenwert verdient, kann deshalb nicht gefolgt werden. Auch wenn nach dieser Auffassung eine Höchstgrenze gem. § 15 Abs. 3 RVG mit einer Gebühr von 1,3 nach dem Wert der Hauptsache gezogen wird, widerspricht dies dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 RVG. Darüber hinaus würde der Grundgedanke der Reduzierung nach Nr. 3101 Nr. 1 VV, dass nämlich bei vorzeitiger Beendigung des Verfahrens die volle Gebühr als zu hoch angesehen wird (vgl. Gerold-Schmidt, RVG, VV 3101) ad absurdum geführt, wenn diese Reduzierung durch eine Verfahrensgebühr für den Kostenantrag zum großen Teil oder gänzlich wieder aufgefressen würde.

Eine Ausnahme des § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG liegt nicht vor.

3 Anmerkung

Zutreffend ist zunächst einmal, dass aus dem Wert der Hauptsache lediglich eine 0,8-Verfahrensgebühr angefallen ist. Die bloße Anzeige der Verteidigungsbereitschaft stellt noch keinen Sachantrag dar und löst somit nicht bereits die volle Verfahrensgebühr aus. Es bleibt vielmehr aufgrund vorzeitiger Erledigung bei der ermäßigten Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV.[1]

Hinsichtlich der Kosten ist jedoch ein Antrag gestellt worden. Insoweit ist damit die volle 1,3-Verfahrensgebühr ausgelöst worden, allerdings nur aus dem Wert der Kosten, soweit er den Wert des Hauptanspruchs nicht übersteigt (§ 23 Abs. 1 S. 2 RVG i.V.m. § 43 Abs. 3 GKG). Dieser Wert ist auf Antrag nach § 33 RVG gesondert festzusetzen.[2]

Dass das Verfahren über die Kostenentscheidung nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG mit zum Rechtszug zählt, ist insoweit unerheblich. § 19 Abs. 1 RVG besagt nur, welche Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören. § 19 Abs. 1 RVG besagt nur, welche Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören, erklärt diese Tätigkeiten aber nicht für vergütungslos.

Das OLG Koblenz[3] weist insoweit zu Recht darauf hin, dass sich aus § 19 Abs. 1 RVG nur ergebe, welche Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören, welche Tätigkeiten also keine gesonderte Angelegenheit auslösen. Aus der Vorschrift folgt jedoch nicht, dass diese Tätigkeiten vergütungslos seien. Wird also in einer Annextätigkeit nach § 19 Abs. 1 RVG ein Gebührentatbestand ausgelöst, ...

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