ZPO §§ 118 ff.; GG Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4

Leitsatz

  1. Die summarische Prüfung der Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Klage im Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).
  2. Dass die Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung einen hohen Begründungsaufwand von 21 Seiten erfordert und inhaltliche komplexe Erwägungen zu Vorschriften des internationalen Privatrechts, der Anwendbarkeit deutschen oder iranischen Rechts behandelt, eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften des EGBGB berücksichtigen muss und teilweise eine inzidente Prüfung iranischen Rechts unter Auswertung iranischer Urteile erfordert, belegt hier die Schwierigkeit der entscheidungserheblichen Rechtsfragen, deren Beantwortung nicht in einem summarischen Verfahren erfolgen kann.

BVerfG, Beschl. v. 24.6.2010–1 BvR 3332/08

Aus den Gründen

I. 1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Prozesskostenhilfeverfahren.

Der Beschwerdeführer nimmt im Ausgangsverfahren den Vater seiner früheren Frau (im Folgenden: Beklagter) auf Zahlung von etwa 325.000,00 EUR in Anspruch. Beschwerdeführer und Beklagter sind iranische Staatsbürger, leben aber seit Jahrzehnten in Deutschland. Parallel zur Klage stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zur Begründung seines Anspruchs trug er im Wesentlichen folgendes vor: Er, der Beschwerdeführer, sei Geschäftsführer einer Teppichhandels GmbH gewesen, an der sich der Beklagte mit einer Einlage von rund 290.000,00 EUR still beteiligt habe. Als Sicherheit für die Rückzahlung der Beteiligung habe er dem Beklagten Ende 1999 sein Haus in Teheran angeboten. Auf die Beteiligung seien rund 160.000,00 EUR zurückgezahlt worden. Überdies habe der Beklagte Teppiche im Wert von rund 125.000,00 EUR aus der Firma entnommen. Nachdem die GmbH wegen Vermögenslosigkeit nicht mehr fortgeführt worden sei, habe die GmbH sämtliche Ansprüche gegen den Beklagten an ihn abgetreten. Im Jahr 2006 habe der Beklagte sein, des Beschwerdeführers, Haus im Wert von 330.000,00 EUR verwertet. Der Klageanspruch ergebe sich folglich aus der Summe der Rückzahlungen, des Wertes der entnommenen Teppiche und des Hauses in Teheran abzüglich der vom Beklagten geleisteten Beteiligung.

Wegen Überlastung des LG wurde über den Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers erst nach einem Jahr entschieden. Das LG wies den Antrag zurück, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Klage sei trotz Hinweises des Gerichts nach wie vor unschlüssig und unsubstantiiert.

Nachdem der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt hatte, übertrug der Einzelrichter beim OLG die Sache wegen "besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art" gem. § 568 S. 2 Nr. 1 Var. 2 ZPO auf den Senat.

Am selben Tag wies der Senat des OLG die sofortige Beschwerde fünf Monate nach der landgerichtlichen Entscheidung durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung zurück. In seinem 21-seitigen Beschluss arbeitete das OLG zahlreiche rechtliche Fragen ab und prüfte mehrere denkbare Anspruchsgrundlagen durch, wobei es hinsichtlich sämtlicher Anspruchsgrundlagen die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach internationalem Privatrecht vorab behandelte. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die deutschen Formvorschriften auf die vom Beschwerdeführer behauptete Sicherungsvereinbarung Anwendung fänden, prüfte es inzident, ob nach iranischem Recht zwingende Formvorschriften für den Abschluss eines derartigen schuldrechtlichen Vertrags bestünden.

Nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde erhob der Beschwerdeführer auf Hinweis des Präsidialrats fristgerecht die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO. Das OLG wies die Rüge zurück.

2.  Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die beiden letztbezeichneten Beschlüsse des OLG.

Das OLG habe das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt, weil es ihm Prozesskostenhilfe versagt habe, obwohl er die Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt habe und die Klage Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Er habe das OLG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei schwierigen Rechtsfragen Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei. Durch den Beschluss des Einzelrichters, der die Rechtssache auf den Senat übertragen habe, habe das OLG auch klar zu erkennen gegeben, dass die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweise. Deshalb sei Prozesskostenhilfe zwingend zu gewähren gewesen.

Zudem zeige "der Ablauf des Verfahrens", dass effektiver Rechtsschutz und rechtliches Gehör nicht gewährt worden seien. Die Verfahrensdauer habe fast eineinhalb Jahre betragen.

3.  Die Bayerische Staatsregierung und der Gegner des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

II. 1. Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung gem. § 93c Ab...

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