§ 59 Abs. 1 RVG; § 57 Abs. 2 S. 1 FamGKG; §§ 122 Abs. 1 Nr. 1b), 123, 126 ZPO

Leitsatz

Die Staatskasse kann auf sie gem. § 59 RVG übergegangene Ansprüche des gegnerischen Rechtsanwalts auch dann gegen die andere Partei geltend machen, wenn dieser ebenfalls Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde; § 122 Abs. 1 Nr. 1b ZPO "sperrt" dieses Vorgehen nicht (Aufgabe Beschl. v. 1.8.2013 – 11 WF 1178/13, AGS 2014, 84 = RVGreport 2013, 435 [Hansens]; wie BGH, Beschl. v. 11.6.1997 – JurBüro 1997, 567; OLG Nürnberg, Beschl. v. 4.12.2018 – 9 WF 1426/18, FamRZ 2019, 1080).

OLG München, Beschl. v. 11.7.2022 – 11 WF 352/22

I. Sachverhalt

In dem Verfahren betreffend eine einstweilige Anordnung in einer Angelegenheit der elterlichen Sorge hatte das AG Kaufbeuren – FamG – sowohl dem Antragsteller als auch der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe (VKH) ohne Anordnung von Ratenzahlungen gewährt. Der Antragsgegnerin hat das FamG Rechtsanwältin S beigeordnet. In dem Termin vom 27.1.2021 hat das FamG das Kind in Abwesenheit der Eltern und deren Verfahrensbevollmächtigten angehört. Wegen einer in einem Parallelverfahren getroffenen einstweiligen Anordnung stellte das FamG das vorliegende Verfahren ein und legte die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller und der Antragsgegnerin zu jeweils 50 % auf. Den Verfahrenswert hat das FamG auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

Auf Antrag der Rechtsanwältin S hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des AG Kaufbeuren die ihr aus der Staatskasse zustehenden Gebühren und Auslagen antragsgemäß wie folgt festgesetzt:

 
 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 215,80 EUR
  (Wert: 2.000,00 EUR)  
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV 199,20 EUR
  (Wert: 2.000,00 EUR)  
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 82,65 EUR
  Gesamt 517,65 EUR

Der Vergütungsbetrag i.H.v. 517,65 EUR wurde an Rechtsanwältin S ausgezahlt. Hieraufhin hat der Kostenbeamte in der Schlusskostenrechnung der amtsgerichtlichen Kostenverteilung entsprechend gegen den Antragsteller nach § 59 RVG auf die Staatskasse übergegangene Anwaltskosten i.H.v. 258,83 EUR eingestellt.

Mit seiner hiergegen gerichteten Erinnerung hat der Antragsteller sich gegen den Ansatz der übergangenen Anwaltskosten gewandt. Er hat auf die Rspr. des OLG München (JurBüro 2001, 310 und AGS 2014, 84 = RVGreport 2013, 435 [Hansens]) verwiesen. Das OLG München hat bisher in st. Rspr. die Meinung vertreten, die Staatskasse könne den auf sie übergegangenen Erstattungsanspruch des dem obsiegenden Verfahrensbeteiligten beigeordneten Rechtsanwalts nicht gegen den erstattungspflichtigen Gegner geltend machen, wenn auch diesem Prozesskostenhilfe (PKH) bzw. VKH bewilligt worden sei.

Der mit der Erinnerung befasste Familienrichter ist dieser Rspr. des OLG München nicht gefolgt und hat die Erinnerung zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Er hat sie außerdem darauf gestützt, dass der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin eine Terminsgebühr Nr. 3104 VV gar nicht angefallen sei.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG München teilweise, nämlich hinsichtlich der zur Hälfte angesetzten Terminsgebühr, Erfolg. I.Ü. hat das OLG die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

II. Forderungsübergang auf die Landeskasse

1. Rechtliche Ausgangslage

Soweit dem im Wege der PKH oder VKH beigeordneten Rechtsanwalt wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Partei oder einen ersatzpflichtigen Gegner zusteht, geht dieser Anspruch gem. § 59 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Befriedigung des Rechtsanwalts durch die Staatskasse auf diese über. Der danach auf die Staatskasse übergegangene Betrag wird in den Gerichtskostenansatz eingestellt und ggfs. zusammen mit den Gerichtskosten gegen den Kostenschuldner zwangsweise beigetrieben (§ 59 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. den Vorschriften des JBeitrG). So war hier das AG Kaufbeuren – FamG – verfahren. Aufgrund der Kostenentscheidung des AG hatten der Antragsteller einerseits und die Antragsgegnerin andererseits jeweils 50 % der Kosten des Verfahrens zu tragen. Damit hatte die der Antragsgegnerin im Rahmen der VKH beigeordnete Rechtsanwältin gem. § 126 Abs. 1 ZPO einen Kostenerstattungsanspruch i.H.d. Hälfte der ihr erwachsenen Anwaltsvergütung. Mit Auszahlung der VKH-Anwaltsvergütung war somit der hälftige Vergütungsbetrag auf die Landeskasse übergegangen.

2. Rechtsbehelfe gegen den Forderungsübergang

Obwohl es sich bei dem auf die Landeskasse übergegangenen Kostenerstattungsanspruch der beigeordneten Rechtsanwältin um außergerichtliche Kosten des Verfahrens handelt, kann der Kostenschuldner gegen diesen Ansatz in der Gerichtskostenrechnung mit der Erinnerung § 66 Abs. 1 GKG bzw. § 57 Abs. 1 FamGKG und ggfs. mit der Beschwerde und der weiteren Beschwerde nach den Vorschriften des GKG bzw. FamGKG vorgehen. Dies war, was die familiengerichtlichen Verfahren anging, nicht immer so klar. Nach der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung des § 59 Abs. 2 S. 3 RVG galt nämlich für die gegen den Ansatz gerichtete Erinnerung und Beschwerde die Bestimmung des § 66 GKG e...

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