I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe eine weitere Vergütung nicht zu, weil er sein Leistungsbestimmungsrecht mit der Beantragung der Festsetzung der Mindestgebühren bindend ausgeübt habe. § 11 Abs. 8 RVG gestatte eine Kostenfestsetzung nur, wenn die Mindestgebühren geltend gemacht würden. Infolge seiner Beteiligung an dem Kostenfestsetzungsverfahren sei die Leistungsbestimmung auch gegenüber dem Beklagten verlautbart worden.

II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand. Dem Kläger steht eine über die festgesetzten gesetzlichen Mindestgebühren hinausgehende Honorarforderung gegen den Beklagten wegen einer mit diesem getroffenen Erlassvereinbarung (§ 397 Abs. 1 BGB) nicht zu.

1. Der Kläger hat allerdings – wie die Revision zutreffend rügt – seine Gebühr bereits durch Schreiben vom 1.6.2010 gegenüber dem Beklagten verbindlich auf 892,50 EUR festgelegt (§ 315 Abs. 1, 2 BGB, § 14 Abs. 1 S. 1 RVG).

Bei Rahmengebühren – wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände der Nrn. 5100, 5109, 5113 VV im Streit stehen – bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Damit eröffnet § 14 Abs. 1 S. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein Leistungsbestimmungsrecht, seine Vergütung nach Maßgabe des § 315 Abs. 1 BGB festzusetzen. Macht der Rechtsanwalt von seinem Leistungsbestimmungsrecht durch Erklärung gegenüber dem Mandanten (§ 315 Abs. 2 BGB) Gebrauch, ist er an die von ihm getroffene Bemessung der Gebühr gebunden (BGH, Urt. v. 4.12.1986 – III ZR 51/85, NJW 1987, 3203; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 20. Aufl., § 14 Rn 4; Jungbauer in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn 118; Lutje/von Seltmann, Beck OK RVG, § 11 Rn 116; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn 1096). Hat der Rechtsanwalt das Bestimmungsrecht ausgeübt, kann er davon nachträglich auch nicht zugunsten des Mandanten abweichen (BGH a.a.O.). Im Streitfall hat der Kläger durch Schreiben vom 1.6.2010 sein Ermessen bindend dahin gehandhabt, dass er die Rahmengebühren einschließlich Nebenkostenpauschale und Umsatzsteuer auf 892,50 EUR bestimmt.

2. Der Kläger hat sich jedoch im Festsetzungsverfahren durch einen Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) mit dem Beklagten dahin geeinigt, für seine Tätigkeit lediglich die Mindestgebühren von 154,70 EUR zu erheben.

a) Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben (BGH, Urt. v. 15.1.2002 – X ZR 91/00, WM 2002, 822, 824; vom 18.9.2012 – II ZR 178/10, WM 2012, 2231 Rn 22). In der Kostenabrechnung eines Rechtsanwalts kann im Blick auf eine darüber hinaus gehende Honorarforderung das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages zu erkennen sein, wenn mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, dass eine materiell-rechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden soll (BGH, Urt. v. 7.3.2006 – VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511 [= AGS 2006, 408]). Ausnahmsweise kommt ein Verzichtsvertrag durch schlüssiges Handeln in Betracht, wenn ein unzweideutiges Verhalten des Gläubigers vorliegt, das vom Erklärungsgegner nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann. Dies kann anzunehmen sein, wenn ein triftiger Grund für einen Verzicht eingreift (BGH, Urt. v. 19.11.1956 – II ZR 110/55, DB 1957, 210; v. 20.5.1981 – IVb ZR 570/80, FamRZ 1981, 763; RG SeuffA 78, 24 Nr. 12; RGRK-BGB/Weber, 12. Aufl., § 397 Rn 23; MüKo-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 397 Rn 3).

b) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger durch die Übermittlung des auf die Mindestgebühr gerichteten Festsetzungsantrags dem Beklagten den Antrag unterbreitet, ihm die über die Mindestgebühr hinausgehende Honorarforderung zu erlassen (§ 397 Abs. 1 BGB). Der konkludente Erlass der weitergehenden Gebührenforderung beruht auf einem triftigen Grund, weil der Rechtsanwalt mit Rücksicht auf § 11 Abs. 8 S. 1 Fall 1 RVG eine Festsetzung der Mindestgebühr nur beantragen darf, wenn er auf eine zusätzliche Honorarforderung verbindlich verzichtet. Denn dem Rechtsanwalt ist sowohl nach dem Wortlaut der Bestimmung als auch nach dem Willen des Gesetzgebers im Anschluss an die Festsetzung der Mindestgebühr die Verfolgung einer darüber hinausgehenden Honorarforderung versagt.

aa) Gemäß der außer Kraft getretenen Regelung des § 19 Abs. 1 BRAGO wurde die gesetzliche Vergütung, die dem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zustand, auf seinen Antrag durch das Gericht des ersten Rechtszuges festgesetzt. § 19 Abs. 8 BRAGO schrieb ausdrücklich vor, dass dieses Verfahren bei Rahmengebühren nicht galt. Im Widerspruch zu dem Wortlaut dieser Bestimmung ließen einzelne Gerichte eine Festsetzung von Rahmenge...

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