ZPO §§ 114, 119 Abs. 1 S. 2, 522 Abs. 2

Leitsatz

Dem Berufungsbeklagten kann nach Eingang der Rechtsmittelbegründung Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Berufung nicht mit der Begründung versagt werden, eine Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) stehe noch aus.

BGH, Beschl. v. 28.4.2010 – XII ZB 180/06

Sachverhalt

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Gegen das Scheidungsverbundurteil hat der anwaltlich vertretene Antragsgegner rechtzeitig Berufung eingelegt und Anträge sowie Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten. Nach Zustellung der Berufungsschrift an den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hatte sich dieser mit am 3.8.2006 beim OLG eingegangenem Schriftsatz bestellt, Zurückweisung der Berufung beantragt sowie um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin nachgesucht. Am 18.8.2006 hatte die Antragstellerin das ausgefüllte Formular über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und am 31.8.2006 den Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach SGB II. In der Zwischenzeit hatte der Antragsgegner seine Berufung mit am 14.8.2006 eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Berufungsbegründung wurde der Antragstellerin gem. Verfügung vom 17.8.2006 mit begründetem Beschluss vom gleichen Tage, mit welchem auf eine beabsichtigte Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen wurde, am 22.8.2006 zugestellt. Zugleich stellte ihr das Berufungsgericht anheim, seine Entscheidung bzw. die Stellungnahme des Antragsgegners abzuwarten. Letztere ist der Antragstellerin zusammen mit dem die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisenden Beschluss sowie unter Versagung der für das Verfahren zweiter Instanz beantragten Prozesskostenhilfe am 19.9.2006 zugestellt worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Prozesskostenhilfeantrag weiter.

Aus den Gründen

1.  Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 ZPO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft, weil das Beschwerdegericht sie nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 S. 2 ZPO).

Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschl. v. 2.4.2008 – XII ZB 266/03, FamRZ 2008, 1159 m.w.N.). Das ist hier indes der Fall, da die Antragstellerin geltend macht, die Beurteilung ihrer Rechtsverteidigung als nicht notwendig, mithin als mutwillig, sei nicht gerechtfertigt (vgl. Senatsbeschl. v. 22.6.2005 – XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477).

2.  Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a)  Das OLG hat seine Entscheidung damit begründet, dass einer mittellosen Partei, die in der Vorinstanz obsiegt habe, Prozesskostenhilfe für die Rechtsmittelinstanz im Allgemeinen erst zu gewähren sei, wenn der Gegner sein Rechtsmittel begründet habe. Vorliegend sei der Prozesskostenhilfeantrag zu einem früheren Zeitpunkt gestellt worden; nach Erhalt der Berufungsbegründung habe der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin weder weitere Anträge gestellt, noch sich in der Sache geäußert. Darüber hinaus sei einem Rechtsmittelgegner Prozesskostenhilfe auch dann nicht zu bewilligen, wenn das Gericht unmittelbar nach Eingang der Berufungsbegründung darauf hinweise, dass es die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen wolle.

Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

b)  Zutreffend geht das OLG allerdings im Ansatz davon aus, dass einem Rechtsmittelgegner – jedenfalls dann, wenn er in der Vorinstanz anwaltlich vertreten war – im Allgemeinen Prozesskostenhilfe erst gewährt werden kann, wenn das Rechtsmittel begründet worden ist und die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht gegeben sind (vgl. Senatsbeschl. v. 7.2.2001 – XII ZR 26/99, NJW-RR 2001, 1009; v. 10.2.1988 – IVb ZR 67/87, FamRZ 1988, 942 u. v. 30.9.1981 – IVb ZR 694/80, FamRZ 1982, 58, 59 f., jeweils m.w.N.; BAG NJW 2005, 1213; Zöller/Philippi, ZPO, 28. Aufl., § 119 Rn 55; Musielak/Fischer, ZPO, 7. Aufl., § 119 Rn 16; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 30. Aufl., § 119 Rn 13; Hk-ZPO/Pukall 2. Aufl., § 119 Rn 14; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rn 43, § 119 Rn 22, 24; a.A. für die Berufungsinstanz OLG Karlsruhe FamRZ 1996, 806; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 119 Rn 57).

In dem Ausschluss mutwilliger Rechtsverfolgung (§ 114 S. 1 ZPO) kommt der Grundsatz zum Ausdruck, dass Prozesskostenhilfe nur in Anspruch genommen werden kann, soweit es für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ist. Einer Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert, muss zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn diese im Einzelfall wirklich notwendig werden. Dabei ist es gleichgültig, ob eine zahlungsfähige Partei in der gleichen...

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