Leitsatz

  1. Macht der Anwalt aus einem Verkehrsunfall für den Ehemann dessen Schadensersatzansprüche hinsichtlich des Sachschadens geltend und für die Ehefrau deren Ansprüche auf Ersatz des Personenschadens, liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor, wenn diese gesonderte Aufträge erteilt haben.
  2. Der gegnerische Haftpflichtversicherer ist verpflichtet, diese Kosten des getrennten Vorgehens zu ersetzen.

LG Passau, Urt. v. 29.4.2015 – 3 S 101/14

1 Sachverhalt

Die Klägerin war zusammen mit ihrem Ehemann, der Halter des betreffenden Fahrzeugs war, in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aufgrund ihrer Verletzungen musste sie sich in stationäre Behandlung begeben.

Der Ehemann der Klägerin suchte daraufhin einen Anwalt auf und beauftragte ihn mit der Regulierung seines Sachschadens. Hierzu unterzeichnete er in der Kanzlei des Anwalts eine Vollmacht.

Des Weiteren wurde der Anwalt auch von der Klägerin mit der Regulierung ihres Personenschadens beauftragt. Hierzu unterschrieb sie im Krankenhaus unter demselben Datum eine Vollmacht für denselben Anwalt.

Der Anwalt führte sodann die Schadensregulierung durch, worauf die Beklagte 11.400,00 EUR auf die Ansprüche der Klägerin leistete und weitere 11.686,73 EUR auf die Ansprüche des Ehemanns.

Daraufhin rechnete der Anwalt sowohl für die Klägerin als auch für den Ehemann jeweils eine 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagen und Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 1.024,95 EUR ab. Die Beklagte zahlte lediglich 434,95 EUR unter Hinweis darauf, dass hier nur eine Angelegenheit vorliege und daher nur eine Gebühr aus dem Gesamtwert zu zahlen sei.

Das AG hatte die Klage auf Auszahlung des Differenzbetrags i.H.v. 590,00 EUR abgewiesen. Nachdem beide Mandate am selben Tag erteilt und auch die Vollmachten am selben Tage unterzeichnet worden seien, sei von einem Tätigwerden "in derselben Angelegenheit" auszugehen, so dass die Gebühren nur einmal anfielen, allerdings aus dem Wert der zusammengerechneten Gegenstände.

Die hiergegen erhobene Berufung hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz des streitgegenständlichen Betrages als ersatzpflichtiger Unfallschaden nach § 7 StVG, § 115 VVG, §§ 3, 3a PflVG zu. Die Klägerin kann hierbei auch den Betrag i.H.v. 590,00 EUR als Differenz zwischen einer "getrennten Abrechnung" auf der Basis von zwei Streitgegenständen und der – hier vonseiten der Beklagten durchgeführten – Abrechnung auf Basis eines einheitlichen Streitwertschadens einfordern.

Nach Ansicht des Gerichts liegt keine einheitliche Angelegenheit vor, d.h. der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wurde nicht "in derselben Angelegenheit" i.S.v. §§ 7, 15 RVG tätig; er ist mithin nicht gehindert, beide Angelegenheiten isoliert abzurechnen.

Eine entsprechend einheitliche Angelegenheit liegt dann vor, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Auftrag, ein Tätigkeitsrahmen sowie ein innerer Zusammenhang. Nur wenn diese drei Voraussetzungen vorliegen, liegt eine Angelegenheit vor; fehlt eine der Voraussetzungen, sind mehrere Angelegenheiten gegeben (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, § 15 Rn 6). Hier mangelt es nach Ansicht des Gerichts bereits am Vorliegen eines "einheitlichen" Auftrages. Zwar wurden die beiden Vollmachten jeweils am 14.7.2011, mithin am gleichen Tag, unterzeichnet. Unbestritten erfolgte das Unterzeichnen jedoch an verschiedenen Orten. Auch bezogen sich die geltend gemachten Ansprüche unbestritten auf unterschiedliche Schadenspositionen, die sich auch nicht teilweise überschnitten haben. Ferner wurden die Ansprüche vonseiten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und ihres Ehemannes – unbestritten – in zwei unterschiedlichen Rechtsanwaltsakten geführt, wie auch die Korrespondenz in getrennten Briefen erfolgte. Auch der Verfahrensabschluss erfolgte – ebenfalls unbestritten – hinsichtlich beider Anspruchsteller gesondert. Diese getrennte Verfahrensbehandlung spricht hinreichend für die Annahme von getrennten Aufträgen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Reinhold J. Korbl, Hauzenberg

3 Anmerkung

Ebenso entschieden – und zwei ersatzfähige getrennte Angelegenheiten angenommen – haben das AG Mülheim,[1] das LG Flensburg[2] und das LG Hagen.[3] Nach Auffassung des AG München[4] ist der Anwalt allerdings verpflichtet, die Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass eine gemeinsame Durchsetzung der einzelnen Ansprüche der kostengünstigere Weg ist. Versäumt es der Anwalt, diesen Hinweis zu erteilen, macht er sich unter Umständen schadensersatzpflichtig.

Zu prüfen ist stets, ob der Anwalt bei Vertretung mehrerer Geschädigter nicht in eine Interessenkollision nach § 43a Abs. 4 BRAO geraten kann, was dann der Fall ist, wenn einer der vertretenen Geschädigten zugleich dem anderen neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann. Tritt ein solcher Fall ein, verliert der Anwalt seine gesamten Vergütungsansprüche.[5]

Norbert Schneider

AGS, S. 440 - 441

[1] AGS 2012, 375 = NZV 2014, 48 = NJW-Spezial 2012, 507 = VRR 2012, 360 = Verkehrsrecht aktuell 2012, 167.
[2] JurBüro 1975, 764.
[3] AnwBl 1978, 67.
[4] AGS 1993, 42 = zfs 1993 279.
[5] LG...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge