1. Die Übertragung des Erinnerungsverfahrens von dem Einzelrichter auf die Kammer beruht auf § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob auch der nicht körperlich im Gerichtsgebäude eingetroffene, jedoch bereits auf dem Weg zum Gericht befindliche Rechtsanwalt, wenn er kurzfristig von einer Terminsaufhebung noch erfährt, Anspruch auf die Festsetzung einer Terminsgebühr für den sogenannten "geplatzten Termin" haben kann, ist umstritten. Obergerichtliche Rspr. liegt zu dieser Fragestellung soweit ersichtlich allein von dem OLG München vor, dessen Argumentation insoweit rechtlich zweifelhaft erscheint.

2. Der als Erinnerung auszulegende Rechtsbehelf von Rechtsanwalt E als Terminsvertreter des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt G ist gem. § 56 RVG zulässig. Die Erinnerung hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. I.Ü. ist sie unbegründet.

a) Die Terminsgebühr für den kurzfristig abgesagten Hauptverhandlungstermin am 7.10.2019 war antragsgemäß mit 424,00 EUR gem. Nr. 4120 VV zzgl. der hierauf entfallenden Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV festzusetzen.

Gem. Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 und 3 VV erhält der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, es sei denn, er ist rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden.

aa) Der Begriff des Erscheinens ist teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grds. auch ausreicht, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche Rechtsanwalt zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt (vgl. Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., 2019, VV Vorbem. 4, Rn 40 f. m.w.N.).

Die Kammer folgt insoweit nicht der std. Rspr. des OLG München, das eine solche erweiternde Auslegung ablehnt (vgl. nur OLG München, Beschl. v. 23.4.2018 – 6 St (K) 12/18 [= AGS 2018, 339]; Beschl. v. 4.8.2014 – 6 St (K) 22/14 [= AGS 2015, 70]; Beschl. v. 13.11.2007 – 1 Ws 986/07 [= AGS 2008, 233]), denn diese Rspr. vermag nicht zu überzeugen. Das OLG München führt insoweit aus, der eindeutige Wortlaut der Norm lasse keine Auslegung zu, die auf die körperliche Anwesenheit des Rechtsanwalts im Gericht verzichte. Dieses Erfordernis stehe mit der Gesetzesbegründung im Einklang und sei zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten geboten.

Nach Überzeugung der Kammer legt zwar der Wortlaut der Norm, die davon spricht, dass der Rechtsanwalt zu dem Termin "erscheint", es nach allgemeinem Sprachgebrauch nahe, die körperliche Anwesenheit am Ort der vorgesehenen Hauptverhandlung zu verlangen, ist jedoch nicht derart unflexibel, dass er jede Auslegung verbieten würde. So spricht der Gesetzestext nicht von dem Rechtsanwalt, der zu dem Gerichtstermin "erschienen ist", sondern von dem Rechtsanwalt, der zu dem Termin "erscheint". Dies lässt es durchaus zu, das Erscheinen nicht allein als Zustand der Anwesenheit, sondern als anwaltliche Tätigkeit, mithin einen Vorgang zu verstehen, der mit dem Antritt des Weges zum Gericht bereits seinen Anfang nimmt. Wenngleich dieses Begriffsverständnis ein sehr weites ist, zeigt sich damit, dass die Wortlautgrenze einer – wie zu zeigen sein wird – bei historischer, teleologischer und systematischer Betrachtung gebotenen erweiternden Auslegung im hier vorgenommenen Sinne nicht entgegensteht.

bb) In der Gesetzesbegründung zu dem KostRModG (BT-Drucks 15/1971, 221) heißt es hierzu:

 
Hinweis

"Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheint, hierfür keine Gebühr erhalten soll. Er erbringt unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins. Soweit dieser wegen des Nichtstattfindens der Hauptverhandlung gering ist, lässt sich dies ohne Weiteres bei der Bemessung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens berücksichtigen."

Entgegen der Auffassung des OLG München stützt diese Begründung für den Text der Vorbem. 4 Abs. 3 VV nicht eine Auslegung, die als Erscheinen nur die körperliche Anwesenheit genügen lässt. Vielmehr ist der Begründung der Wille des historischen Gesetzgebers zu entnehmen, die frustrierte Vorbereitung des Verteidigers – und damit gem. Vorbem. 4 Abs. 1 VV auch diejenige des Nebenklägervertreters – zu dem Hauptverhandlungstermin zu entschädigen. Diese Arbeitsleistung ist aber in aller Regel bereits angefallen, wenn sich der Rechtsanwalt bereits auf den Weg zum Gericht gemacht hat, nicht erst mit seiner dortigen Ankunft.

cc) Sinn und Zweck der Eingrenzung auf den Rechtsanwalt, der "zu einem anberaumten Termin erscheint", ist es, dass derjenige Rechtsanwalt von der Terminsgebühr ausgeschlossen sein soll, der ungeachtet der Terminsaufhebung zu dem Hauptverhandlungstermin ohnehin nicht erschienen wäre. Für ihn wäre die Terminsabsage mit der Folge de...

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