1. Keine Anrechnung nach Teil 4 VV

Das AG verneint eine Anrechnung. Eine Anrechnung von Gebühren sei in der Aufstellung der Kostentatbestände in Teil 4 VV nicht vorgesehen.

2. Keine Anrechnung nach § 15 Abs. 5 RVG

Eine Anrechnung von Gebühren komme – so das AG – aber auch nicht nach § 15 Abs. 5 RVG in Betracht, der in bestimmten Fällen eine Anrechenbarkeit zuließe. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt wird, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden. Sodann dürfe dieser nicht mehr an Gebühren erhalten, als der Rechtsanwalt erhielte, wenn dieser von vornherein hiermit beauftragt worden wäre.

Den Begriff "derselben Angelegenheit" erwähne das RVG aber nicht. Die Abgrenzung von unterschiedlichen Angelegenheiten werde der Rspr. und dem Schrifttum überlassen (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 15 Rn 5). Die anwaltliche Tätigkeit in derselben Angelegenheit müsse danach aufgrund eines einheitlichen Auftrags erfolgen, sich im gleichen Rahmen halten, zwischen den einzelnen Handlungen und/oder Gegenständen einen inneren Zusammenhang haben und in der Zielsetzung übereinstimmen (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., 2021, § 15 Rn 2–4). Gemessen an diesen Maßstäben liegen nach Auffassung des AG die Voraussetzungen für die Anwendung des § 15 Abs. 5 RVG hier nicht vor.

Der Rechtsanwalt sei mit Beschl. v. 16.12.2020 im Ermittlungsverfahren wie folgt bestellt worden:

"Für die Dauer der Vernehmung wird dem Beschuldigten Rechtsanwalt pp., Speyer, beigeordnet."

Grund für die Beiordnung sei der Ausgleich für den Ausschluss des Angeschuldigten während der Dauer der Vernehmung gewesen, sodass wenigstens für diesen einen Termin sein beigeordneter Verteidiger seine Rechte wahrnehmen konnte (§ 168c Abs. 3, Abs. 5 S. 2 StPO). Der Vernehmungstermin habe am 28.1.2021 stattgefunden. Der Rechtsanwalt sei zugegen gewesen. Aus dem Protokoll dieser nichtöffentlichen Sitzung ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Rechtsanwalt mit einer sukzessiven Erweiterung des Auftrags habe rechnen können. Deshalb habe dieser nach Auftragserledigung beantragt, seine Vergütung festzusetzen, was letztendlich antragsgemäß erfolgt sei.

Erst 3 Monate nach Beendigung seines Auftrags aus dem Bestellungsbeschluss vom 16.12.2020 sei der Rechtsanwalt mit Beschl. v. 21.4.2021 als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 StPO beigeordnet worden. Es sei unerheblich, dass die "endgültige" Beiordnung des Rechtsanwalts vom 21.4.2021, wie zuvor die Beiordnung für die Dauer der Vernehmung vom 16.12.2020, im Ermittlungsverfahren erfolgt sei. Es sei nicht schon deshalb dieselbe Angelegenheit, weil die Beiordnungen in demselben Verfahrensabschnitt (Vorverfahren) erfolgt seien. Vielmehr sei ausschlaggebend, dass die Beiordnungen mit anderen Zielsetzungen erfolgt seien. Zum einen zum Ausgleich des Ausschlusses des Angeschuldigten für die erzwungene Abwesenheit des Angeschuldigten in der Vernehmung am 28.1.2021 und zum anderen zur weiteren Verteidigung für das gesamte Verfahren. I.Ü. könne es sich schon deshalb nicht um dieselbe Angelegenheit handeln, da es andernfalls keiner erneuten Beiordnung für das gesamte Verfahren des Rechtsanwalts bedurft hätte.

III. Kein Fall des § 15 Abs. 6 RVG

Nach Auffassung des AG waren auch die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 RVG, wonach eine "Deckelung" der entstandenen Gebühren in bestimmten Fällen vorzunehmen ist, zu verneinen. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Rechtsanwalt lediglich mit einzelnen Handlungen oder Tätigkeiten beauftragt worden wäre, die eine Erstattungsfähigkeit allein der Gebühr Nr. 4301 VV rechtfertigen könnte. Zwar hätte – so das AG – der Wortlaut des Tenors des Bestellungsbeschlusses vom 16.12.2020 eine Einzeltätigkeit nahelegen können. Da die Bestellung des Rechtsanwalts jedoch nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO erfolgt sei, habe es sich nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um eine Tätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 VV gehandelt. Dies hat nach den weiteren Ausführungen des AG zur Folge, dass der beigeordnete Rechtsanwalt die Grundgebühr Nr. 4100 VV, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV und die Terminsgebühr Nr. 4102 VV verdient (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Nr. 4301 Rn 15; so auch Burhoff, RVGreport 2017, 402; § 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO n.F.). § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO sei nicht auf das Ermittlungsverfahren beschränkt, sondern auf alle richterlichen Vernehmungen vor und nach Anklageerhebungen anzuwenden. Erfasst seien Zeugen-, Sachverständigen- u. Beschuldigtenvernehmungen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 44. Ed., Stand: 1.7.2022, § 140 Rn 19).

Zudem besteht hier kein Streit darüber, ob im Rahmen der ersten Bestellung im Vorverfahren lediglich die Gebühr Nr. 4301 VV zu vergüten sei, sondern darüber, ob § 15 Abs. 6 RVG Anwendung finde. Es bleibt daher vorliegend dahingestellt, ob dem beigeordneten Rechtsanwalt für Einzeltätigkeiten, die sich nach Nr. 4301 Nr. 4 VV bestimmen, nicht mehr an Gebühren erstattet werden können, als ein m...

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