Erstmals hatte die 3. Kammer des ersten Senats des BVerfG in ihrem Beschl. v. 23.8.2005–1 BvR 46/05[3] – zur Streitwertfestsetzung bei beidseits bewilligter Prozesskostenhilfe entschieden:

"Es verstößt gegen die Berufsausübungsfreiheit der Rechtsanwälte, den Streitwert für Scheidungen, bei denen beiden Ehegatten Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen auf den Mindeststreitwert nach § 48 Abs. 3 S. 1 GKG festzusetzen."

Dem Beschl. v. 23.8.2005 lag eine Entscheidung des OLG Hamburg zu Grunde, das in Ehesachen bei beiderseitiger Bewilligung von PKH "stets" oder im "Regelfall" den Mindeststreitwert in Höhe von 2.000,00 EUR angenommen hatte.

Bereits das AG hatte den Streitwert auf den Mindestwert von 2.000,00 EUR festgesetzt, da den Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden war. Die von dem betroffenen Rechtsanwalt hiergegen erhobene und damit begründete Beschwerde, die Parteien verfügten über Einkommen, das unter Zugrundelegung des § 48 Abs. 3 S. 2 GKG den Mindestwert überschreite, wurde vom OLG Hamburg mit folgender Feststellung zurückgewiesen: "Es verbietet sich jedenfalls in solchen Fällen, in denen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse derart beengt sind, dass die Allgemeinheit die Kosten des Scheidungsverfahrens zu tragen hat, den Mindeststreitwert zu überschreiten."

Mit der hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde rügte der betroffene Rechtsanwalt im Wesentlichen eine Verletzung der Berufsfreiheit, weil derartige Mandate nicht mehr kostendeckend zu bearbeiten seien. Außerdem gebe es für die Entscheidung keine Rechtsgrundlage und schließlich stelle der Verweis auf die Belastung der Allgemeinheit eine sachfremde Erwägung dar.

Zu der Verfassungsbeschwerde hatte unter anderem auch der Deutsche Anwaltverein Stellung bezogen: "Es ist nicht einzusehen, dass der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Anwalt durch die niedrige Streitwertfestsetzung zugunsten der Allgemeinheit ein doppeltes Sonderopfer erbringen muss, nachdem er ohnehin schon zu geringeren Gebühren tätig wird als ein nicht beigeordneter Rechtsanwalt."

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde i.S.d. Beschwerdeführers entschieden und sich auch den Ausführungen des Deutschen Anwaltsvereins angeschlossen:

"Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern."

Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen stellt bei Vergütungsregelungen zwar eine vernünftige Erwägung zugunsten des Gemeinwohls dar. Allerdings ist diesem Kriterium bereits umfassend bei der Reduzierung der Vergütungssätze Rechnung getragen worden. Fiskalische Belange können daher nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Überlegung des OLG, die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse beruhe auf dem Ansatz, dass besser Verdienenden höhere Scheidungskosten zugemutet werden können, was nicht zur Geltung komme, wenn die Parteien gar keine Kosten zu tragen haben, geht fehl und rechtfertigt keineswegs die Festsetzung des Mindeststreitwerts.

Auch der Verweis auf die unzureichenden Einkommensverhältnisse gerade wegen der bewilligten Prozesskostenhilfe rechtfertigt die Auffassung des Hanseatischen OLG deshalb nicht, weil die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe und diejenigen über die Festsetzung des Streitwertes nach dem GKG vom Gesetzgeber nicht aufeinander abgestimmt worden sind.

Die Prozesskostenhilfebestimmungen beantworten nur die Frage, ob und in welcher Höhe Einkommen und Vermögen für die Prozesskosten einzusetzen ist, während die Vorschriften über den Streitwert bestimmen, bei welchem Vermögen und Einkommen welcher Streitwert und somit welche Kostenlast gegenüber dem Gericht und dem Anwalt angemessen sind.

Die Streitwertbestimmungen in Ehesachen knüpfen an eine weitergehende Statusbetrachtung an, nach der vom dreifachen Netto-Monatseinkommen der Eheleute auszugehen ist und die Vermögensverhältnisse im Einzelfall eine Korrektur nach oben oder unten erlauben. Eine Differenzierung nach einzusetzendem Vermögen findet nicht statt, weshalb allein aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe keine Schlussfolgerungen für die Festsetzung des Streitwertes in Ehesachen gezogen werden können. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschriften des GKG hilft der Argumentation des OLG nicht. In den Materialien befindet sich gerade kein Hinweis darauf, dass bei beidseits bewilligter PKH stets nur der Mindeststreitwert festzusetzen sei. Das ursprüngliche Vorhaben eines Mindeststreitwertes, der dem Regelstreitwert in Ehesachen entsprechen sollte, ist nicht Gesetz geworden, so dass keine Rückschlüsse gezogen werden können.“

Die Sache wurde durch das BVerfG an das AG zurückverwiesen.

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