§§ 51, 52 Abs. 1 S. 2 RVG; §§ 464b, 467 Abs. 1 StPO

Leitsatz

  1. Die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch die Pauschgebühr gehört, sind nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 S. 2 RVG insgesamt auf die Wahlverteidigergebühren anzurechnen, die der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten verlangen kann.
  2. Es kommt nicht in Betracht, die jeweils vorteilhaften Elemente aus dem Gebührenrecht des Pflichtverteidigers und des Wahlverteidigers im Sinne einer Meistbegünstigung selektiv herauszugreifen und miteinander zu kombinieren ("Rosinentheorie").

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2021 – III-2 Ws 267/20

I. Sachverhalt

Rechtsanwalt A. war in dem Loveparade-Verfahren als einer der Pflichtverteidiger des früheren Angeklagten bestellt. Das LG hat das Verfahren gegen den früheren Angeklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und angeordnet, dass die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last fallen.

Der Rechtsanwalt A. hat als Pflichtverteidiger Terminsgebühren i.H.v. 60.928 EUR (netto) aus der Staatskasse erhalten. Ferner ist ihm anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (Nrn. 4100, 4104, 4112 VV) gem. § 51 RVG eine Pauschgebühr i.H.v. 70.000 EUR (netto) bewilligt und ausgezahlt worden.

Aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten hat der Rechtsanwalt A. als Differenzgebühr eines Wahlverteidigers für 182 Verhandlungstage zusätzliche Terminsgebühren von jeweils 304 EUR (netto), d.h. rechnerisch insgesamt 55.328 EUR (netto) zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet. Ferner hat er für den letzten Verhandlungstag, den er nicht als Pflichtverteidiger abgerechnet hat, aus abgetretenem Recht des früheren Angeklagten B. einen Betrag von 560 EUR (netto) als Terminsgebühr eines Wahlverteidigers sowie Auslagen zur Festsetzung gegen die Staatskasse angemeldet. Die Rechtspflegerin des LG hat antragsgemäß gegen die Staatskasse festgesetzt. Gegen diesen Festsetzungsbeschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatskasse, nach deren Auffassung der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht besteht, da die Pflichtverteidigergebühren insgesamt anzurechnen seien. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Nicht mehr als ein Wahlverteidiger

Das OLG führt aus: Dem früheren Angeklagten B. habe aus der dem Grunde nach getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung der Strafkammer (§ 467 Abs. 1 StPO) der Höhe nach kein Anspruch auf Erstattung von Wahlverteidigergebühren gegen die Staatskasse zugestanden, da die insgesamt gezahlten Pflichtverteidigergebühren die Wahlverteidigergebühren (weit) übersteigen. Demgemäß könne der Zessionar Rechtsanwalt A. den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht aus abgetretenem Recht herleiten. Ein gegen die Staatskasse gerichteter Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten B. habe in dem Umfang bestehen können, in dem Rechtsanwalt A. als Pflichtverteidiger von dem Mandanten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers habe verlangen können. Der Anspruch gegen den Mandanten sei indes nach § 52 Abs. 1 S. 2 RVG insoweit entfallen, als die Staatskasse Gebühren an den Pflichtverteidiger gezahlt hat.

Der Sinn dieser Regelung bestehe darin, dass der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten nicht mehr erhalten solle als ein Wahlverteidiger (vgl. OLG Jena Rpfleger 2010, 107; Volpert, in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 52 Rn 30; Kroiß, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., 2018, § 52 Rn 30). Anzurechnen seien alle aus der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren, wozu auch eine Pauschgebühr nach § 51 RVG zähle (vgl. OLG Köln JurBüro 2002, 595 = Rpfleger 2003, 97; Burhoff, in: Gerold/ Schmidt, RVG, 24. Aufl., 2019, § 52 Rn 15). Um den Zweck des § 52 Abs. 1 S. 2 RVG zu erreichen, dass ein Beschuldigter insgesamt nicht mehr als die Gebühren eines Wahlverteidigers schulde, seien die von der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren in vollem Umfang anzurechnen (vgl. OLG Hamburg Rpfleger 1999, 413 = JurBüro 2000, 205). Bei der Regelung, dass der Anspruch gegen den Beschuldigten insoweit entfalle, als die Staatskasse Gebühren gezahlt habe, beziehe sich das Wort "insoweit" nicht auf die Gebührenart (z.B. Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Pauschgebühr), sondern auf den Umfang der von der Staatskasse geleisteten Zahlungen. Bei der Anrechnung der gezahlten Gebühren sei nicht nach Gebührenarten, Angelegenheiten i.S.d. § 17 Nr. 10 RVG oder Verfahrensabschnitten zu differenzieren.

III. § 58 Abs. 3 RVG nicht einschlägig

Die Regelung des § 58 Abs. 3 RVG sei hier nicht einschlägig. Denn sie betreffe die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen, die der Pflichtverteidiger von dem Mandanten oder Dritten (z.B. Familienangehörigen, Rechtsschutzversicherung) erhalten habe. Zahlungen der Staatskasse seien nicht erfasst (vgl. statt vieler: Volpert, in: Burhoff/Volpert, a.a.O., § 58 Rn 6). Daher sei es ohne Belang, dass § 58 Abs. 3 RVG durch das 2. KostRMoG mit Wirkung ab 1.8.2013 dahin geändert worden sei, dass bei der Anrechnung nicht mehr auf Verfahrensabschnitte, sondern auf Angelegenheiten abzustellen sei....

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge