Gegen den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss war gem. § 464b S. 3 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde statthaft. Das Rechtsmittel, über das der Senat in der Besetzung des § 122 Abs. 1 GVG zu entscheiden hat (OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.11.2017 – 1 Ws 196/17 [unveröffentlicht]; OLG Hamburg, Beschl. v. 26.2.2018 – 1 Ws 140/17, juris Rn 9 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 464b Rn 7 m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 2003, 763 ff.), ist auch sonst zulässig, insbesondere binnen der Frist des § 464b S. 4 StPO eingelegt. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Die erstinstanzlichen Kosten, die durch die Mitwirkung von Rechtsanwalt Dr. H. entstanden sind, sind neben den Kosten für die Beauftragung von Rechtsanwalt Prof. Dr. S. ersatzfähig. Zwar sind die Kosten mehrerer Anwälte nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 2 Var. 1 ZPO, der über § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Anwendung kommt, nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Die grds. verfassungskonforme (dazu: BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 30.7.2004 – 2 BvR 1436/04, juris Rn 5) Vorschrift ist im vorliegenden Sonderfall jedoch im Wege der Rechtsfortbildung teleologisch zu reduzieren. Eine solche telelogische Reduktion ist den Gerichten über die Grenze des Wortsinns hinaus gestattet (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 23.5.2016 – 1 BvR 2230/15, juris Rn 50), sofern sie ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle jener des Gesetzgebers setzen, sondern sich stattdessen darauf beschränken, eine planwidrige Regelungslücke zu füllen. Zu der verfahrensgegenständlichen Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (seit 1.7.2014: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) hat das BVerfG bereits in einem Beschl. v. 28.3.1984 darauf hingewiesen, dass eine großzügigere Handhabung gerade im Strafprozess, der im Gegensatz zum Zivilverfahren vom Offizialprinzip geprägt werde, in Betracht komme (BVerfG – 2 BvR 275/83, juris Rn 28). Die Regelung sei als "Grundsatzregel" zu verstehen, die Ausnahmen zulasse (BVerfG, a.a.O.).

Dass eine durch einen Erstattungsanspruch zu schließende Regelungslücke vorliegt, ist bei einem Freigesprochenen, bei dem zur Begründung der finanziellen Haftung nicht an die begangene Straftat angeknüpft werden kann, inzwischen anerkannt, wenn ihm zuvor ein Sicherungsverteidiger beigeordnet wurde (OLG Celle, Beschl. v. 10.9.2018 – 1 Ws 71/18, juris Rn 19, 17 m.w.N.; KG, Beschl. v. 2.5.1994 – 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, 451). Eine vergleichbare Regelungslücke liegt aber ebenso bei einem Freigesprochenen, der zwei Wahlverteidiger beauftragt hat, vor, wenn seine Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität durch nur einen Wahlverteidiger nicht möglich war. Dass eine solche Sonderkonstellation im vorliegenden Fall, der als "Göttinger Transplantationsskandal" auch in den Medien ein breites Echo gefunden hat, hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten ausnahmsweise gegeben war, folgt aus der Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am OLG Celle G. v. 8.4.2019, der damals den Vorsitz der Schwurgerichtskammer des LG Göttingen geführt hat. Er hat ausgeführt, dass die Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens schlechterdings nur durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von zwei Wahlverteidigern zu bewältigen war. Die besonderen Anforderungen in tatsächlicher Hinsicht seien zunächst darin begründet gewesen, dass die Kammer schon unmittelbar nach Eingang der Anklage, als das Verfahren bereits 33 Umzugskartons gefüllt habe, umfänglich Beweis erhoben hätte, etwa durch diverse Anfragen bei Eurotransplant zu den Transplantationslisten und zu möglichen Auswirkungen der Manipulationen, die dem Freigesprochenen zur Last gelegt wurden. Zudem habe die Kammer mit Prof. Dr. B. einen weiteren Sachverständigen hinzugezogen, um sowohl die sogenannten Manipulationsfälle als auch die Indikationsfälle zu begutachten. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den von Prof. Dr. B. sukzessive vorgelegten Gutachten habe eine wiederholte Aufarbeitung der Patientenakten, die ihrerseits teilweise den Umfang mehrerer Umzugskartons eingenommen hätten, erfordert. Außerdem habe das Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen mit dem Gutachten des Sachverständigen abgeglichen werden müssen, der im Ermittlungsverfahren herangezogen worden sei. Wenn der Freigesprochene lediglich einen Wahlverteidiger mandatiert hätte, hätte er – so der Vorsitzende Richter am OLG G. – "definitiv" für das gesamte Verfahren einen zweiten Verteidiger als Sicherungsverteidiger bestellt.

Der Höhe nach orientiert sich der Erstattungsanspruch des Freigesprochenen im Gegensatz zu der Entscheidung des KG v. 2.5.1994 (KG, Beschl. v. 2.5.1994 – 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, S. 451) nicht an den hypothetischen Kosten eines Pflichtverteidigers (die das KG dann über § 51 RVG erhöht hat), sondern unmittelbar an den Wahlverteidigergebühren. Dies folgt wiederum aus dem Grundsatz, dass bei einem Freige...

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