Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch des freigesprochenen Angeklagten im Falle der Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers zur Sicherung des Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die notwendigen Auslagen des freigesprochenen Angeklagten umfassen die Erstattung der Wahlverteidigergebühren für zwei ihm beigeordnete Pflichtverteidiger, wenn die Bestellung des zusätzlichen Pflichtverteidigers zur Sicherung des Verfahrens unter Fürsorgegesichtspunkten (als sogenannter Sicherungsverteidiger) erfolgte.

2. Ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 464b StPO bislang nur über den Grund, nicht jedoch über die geltend gemachte Höhe des Erstattungsanspruchs entschieden worden, so kann das Beschwerdegericht die Sache nach § 464b Satz 3 StPO, § 572 Abs. 3 ZPO an das Ausgangsgericht zurückverweisen.

 

Normenkette

StPO § 464a Abs. 2 Nr. 2, § 464b S. 3, § 467 Abs. 1; RVG § 52; ZPO § 572 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Stade (Entscheidung vom 04.09.2018; Aktenzeichen 1300 Ks 3/17)

LG Stade (Entscheidung vom 23.08.2018; Aktenzeichen 1300 Ks 3/17)

 

Tenor

1. Der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Stade vom 4. September 2018 wird aufgehoben.

2. Der Beschluss des Landgerichts Stade vom 23. August 2018 wird aufgehoben, soweit der Antrag auf Festsetzung der notwendigen Auslagen des Angeklagten zurückgewiesen wurde.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur Festsetzung der notwendigen Auslagen des Angeklagten aus dem Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. T. vom 29. Juni 2018 an den zuständigen Rechtspfleger beim Landgericht Stade zurückverwiesen.

4. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verteidiger Rechtsanwalt Dr. T. dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Beschwerdewert: 7.657,05 EUR

 

Gründe

I.

Mit Anklageschrift vom 24. März 2017 legte die Staatsanwaltschaft Stade dem früheren Angeklagten einen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Last, indem er am frühen Morgen des 1. Januar 2017 im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung mit Tötungsvorsatz auf die arg- und wehrlosen Geschädigten M. und A. eingestochen haben soll.

Der Verteidiger des vormaligen Angeklagten und Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. T., legitimierte sich unter Versicherung einer ordnungsgemäßen anwaltlichen Bevollmächtigung mit Schreiben vom 6. Januar 2017 bereits im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizeiinspektion Cuxhaven und ersuchte um Akteneinsicht. Im Rahmen der Haftbefehlsverkündung ordnete ihn der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Stade sodann mit Beschluss vom 9. Februar 2017 als Pflichtverteidiger bei.

Im weiteren Verlauf ordnete der Kammervorsitzende des Landgerichts Stade - Schwurgericht - mit Beschluss vom 20. Juli 2017 dem Angeklagten Rechtsanwalt Dr. M. als zweiten Pflichtverteidiger bei. Eine weitere Begründung findet sich in dem Beschluss nicht. In einem Vermerk vom 18. Juli 2017 legte der Vorsitzende jedoch dar, dass aufgrund der zu erwartenden Dauer der Hauptverhandlung die Beiordnung eines zusätzlichen Verteidigers zur Sicherung des Verfahrens insbesondere vor dem Hintergrund des in Haftsachen zu beachtenden Grundsatzes der Beschleunigung geboten sei.

Nach 21-tägiger Hauptverhandlung wurde der frühere Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Stade vom 18. Januar 2018 freigesprochen, wobei die Strafkammer die notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegte.

Mit Schreiben vom 7. März 2018 beantragte zunächst der Verteidiger Dr. M. aus abgetretenem Recht die dem früheren Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen unter Berücksichtigung bereits erhaltener Pflichtverteidigergebühren festzusetzen. Mit Beschluss vom 29. Mai 2018 ist der Rechtspfleger des Landgerichts Stade dem weitgehend nachgekommen und hat die dem früheren Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 6.198,71 EUR festgesetzt. Abzüge erfolgten bei einzelnen Terminsgebühren, weil die Bestimmung der Gebührenhöhe nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG wegen der Dauer des jeweiligen Hauptverhandlungstermins als unbillig angesehen wurde.

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2018 machte der Beschwerdeführer ebenfalls aus abgetretenem Recht unter Berücksichtigung bereits gezahlter Pflichtverteidigergebühren die Erstattung notwendiger Auslagen in Höhe von 8.803,62 EUR geltend. Hierbei handelte es sich um die Differenz zwischen den Wahlverteidigergebühren und den insoweit bereits aus der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren für die Wahrnehmung des Mandats im Vorverfahren und die Teilnahme an der Hauptverhandlung zuzüglich Umsatzsteuer.

Der Stellungnahme des Bezirksrevisors folgend setzte das Landgericht Stade mit dem angefochtenen Beschluss - dem Verteidiger zugestellt am 31. August 2018 - die zu erstattenden notwendigen Auslagen inklusive der darauf anfallenden Umsatzsteuer auf 1.146,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 3. Juni 2018 fest. Das Landgericht hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass eine Erstattung der notwendigen Auslage...

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