FamFG § 78 Abs. 2; ZPO §§ 114 ff.

Leitsatz

Zur Verwirklichung des aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzips folgenden Grundsatzes der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten ist für die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage (weiterhin auch) auf subjektive Kriterien abzustellen.

OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2009–17 WF 131/09

Sachverhalt

Antragsteller und Antragsgegnerin sind die Eltern der 2009 geborenen Tochter Sch., die bei der Kindesmutter lebt. Aus der nichtehelichen Beziehung der Eltern ist weiter der Sohn G. S. hervorgegangen, der beim Kindesvater lebt. Der Antragsteller hat bisher keinerlei Umgang mit der Tochter Sch. gehabt. Dieser wird von der Antragsgegnerin verweigert. Beide Eltern sind drogenabhängig. Die Antragsgegnerin hat von April bis August 2009 eine Haftstrafe wegen Beschaffungskriminalität verbüßt. Seither absolviert sie eine Drogentherapie bei der Therapeutischen Gemeinschaft in L. Die Kindeseltern haben bis zum Haftantritt der Antragsgegnerin zusammen gelebt.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung eines Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Kind Sch. Das AG hat ihm dafür Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwältin N., jedoch abgelehnt. Der dagegen erhobenen sofortigen Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen.

Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.

Aus den Gründen

Das AG hat zu Unrecht die Beiordnung abgelehnt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Nach § 78 Abs. 2 FamFG ist, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, dem Beteiligten auf seinen Antrag ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks 16/6308 F 214) sollen enge Voraussetzungen für die Anwaltsbeiordnung bestehen und eine Beiordnung nur in Ausnahmefällen erfolgen, wobei nur auf objektive Kriterien abgestellt werden soll. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Vielmehr sind grundsätzlich auch subjektive Kriterien zu berücksichtigen, weil nur so dem aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten (vgl. dazu BVerfG NJW 2004, 1789; NJW RR 2007, 1713; NJW 2008, 1831) zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes genüge getan wird. Deshalb ist – unter Beachtung der Grundsätze der Berücksichtigung des Einzelfalles (BGH FamRZ 2009, 1857) – nach wie vor von Bedeutung, inwieweit ein Beteiligter subjektiv in der Lage ist, seine Rechte und Interessen im Verfahren durchzusetzen, insbesondere, ob er in der Lage ist, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (so zu Recht Bumiller/Harder, FamFG 9. Aufl, § 78 Rn 3; Keidel/Zimmermann, FamFG 16. Aufl., § 78 Rn 4; Musielak/Borth, FamFG, § 98 Rn 4; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske, FamFG, § 78 Rn 4; Meysen/Kindermann, FamFG, § 78 Rn 12; Thomas/Putzo/Reicholt, ZPO, 29. Aufl., § 121 Rn 5, a.A. Horndasch/Viefhues/Götsche, FamFG, § 78 Rn 26, 28). Zwar gilt in Umgangsrechtsverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 26 FamFG), das heißt, das FamG hat von Amts wegen die zur Ausfüllung des Begriffs des Kindeswohls bedeutsamen Tatsachen zu ermitteln. Dazu bedarf es jedoch zunächst der Darlegung der Tatsachen, dass die begehrte Regelung des Umgangs dem Wohle des Kindes dient. Nicht zulässig ist deshalb die Ablehnung der Beiordnung durch die pauschale Bezugnahme auf den Amtsermittlungsgrundsatz (BVerfG FamRZ 2002, 531). Deshalb ist – wie schon bisher – in der Regel die Beiordnung eines Anwalts geboten, wenn das Umgangsrecht insgesamt oder zumindest wesentliche Elemente seiner Ausgestaltung im Streit sind (OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 2004, Bumiller/Harders, § 78 Rn 4; Musielak/Borth, § 78 Rn 4; Keidel/Zimmermann, § 78 Rn 12; a.A. Horndasch/Viefhues/Götsche, § 78 Rn 34 Stichwort: Umgangsrechtsverfahren). Vorliegend streiten die Kindeseltern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, um das Umgangsrecht insgesamt, das die Kindesmutter strikt verweigert. Für die Frage, ob der Umgang im konkreten Fall durch das Alter des Kindes (vgl. dazu OLG Celle FamRZ 1990, 1026; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 414; Johannsen/Henrich/Jäger, Eherecht, 4. Aufl., § 1684 Rn 29; Büte, Das Umgangsrecht bei Kindern getrennt lebender oder geschiedener Eltern, 2. Aufl., Rn 207) das Kindeswohl nicht gefährdet, bedarf es einer Darlegung der Belastbarkeit des Kindes, der Intensität der Beziehungen zum Umgangsberechtigten, wie zu den Beziehungen der Eltern untereinander pp. (vgl. FA-FamR, Büte, 7. Aufl., Kap. IV, Rn 440).

Darüber hinaus handelt es sich bei der Regelung des Umgangsrechts häufig auch deshalb um eine schwierige Rechtsfrage, weil die Kosten des Umgangsrechts bei der Berechnung eines eventuellen Unterhaltsanspruches von Bedeutung sein können (vgl. dazu Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2. Aufl., § 1581 Rn 20, § 1603 Rn 59; BGH NJW 2005, 1493; 2007, 511; 2008, 1377). Nach alledem hat das AG die Umstände des Einzelfalles nicht hinreichend beachtet, ...

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