Ich halte die Entscheidung des OVG Lüneburg für falsch, weil § 1 Abs. 3 RVG für den Anwendungsbereich des RVG der Regelung des § 80 AsylG vorgeht. Damit setzt das OVG Lüneburg Richterrecht anstelle des Gesetzgebers und entzieht damit dem betroffenen Rechtsanwalt seinen gesetzlichen Richter.

1. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 RVG

In dieser Vorschrift heißt es:

Zitat

"Die Vorschriften dieses Gesetzes (also des RVG) über die Erinnerung und die Beschwerde gehen den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor."

Für das Asylverfahren sind die Regelungen des Asylgesetz und damit auch der Beschwerdeausschluss des § 80 Asylgesetz maßgeblich. § 1 Abs. 3 RVG bestimmt jedoch eindeutig und ohne eine Ausnahme, dass die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde diesen Regelungen, und somit auch § 80 AsylG, vorgehen. Damit ist gegen die Entscheidung über die Erinnerung im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung die ausdrücklich in § 56 Abs. 2 S. 1 RVG mit der Verweisung auf § 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässig. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 RVG ist so eindeutig, dass ein unbefangener Jurist, der sich eine Sachentscheidung über die Beschwerde in einem Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung nicht abwimmeln will, die Beschwerde als zulässig ansehen würde.

2. Der Wille des Gesetzgebers

§ 1 Abs. 3 RVG wurde durch das 2. KostRMoG eingeführt. Damit wollte der Gesetzgeber Konkurrenzfragen eindeutig zugunsten der Verfahrensvorschriften im RVG lösen (s. BT-Drucks 17/11471, S. 266 mit Verweisung auf S. 154). Somit hat der Gesetzgeber einen umfassenden Vorrang der Verfahrensvorschriften des RVG festgelegt. Folglich hatte der Gesetzgeber auch keinen Anlass dazu, sich in der Gesetzesbegründung mit jeder einzelnen durch § 1 Abs. 3 RVG verdrängten Verfahrensvorschrift zu befassen. Erst recht ergibt sich aus den Motiven des Gesetzgebers nicht, dass der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG entgegen dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 RVG auch für Verfahren nach dem RVG gelten sollte, was das OVG Lüneburg aber hier angenommen hat.

3. Sinn und Zweck des § 80 AsylG

§ 80 AsylG hat den Sinn und den Zweck, durch Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit Streitigkeiten nach dem Asylgesetz möglichst umfassend zu beschleunigen. In Verfahren, in denen die Rechtsbehelfe im RVG geregelt sind, bedarf es jedoch einer derartigen Beschleunigung nicht (mehr). Sowohl das Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung (§§ 55 f. RVG) als auch das Verfahren auf Festsetzung des Gegenstandswertes (§ 33 RVG) ist in aller Regel ein dem Asylverfahren nachgelagertes Verfahren, in dem es allein um die Höhe der PKH-Anwaltsvergütung bzw. um die Festsetzung des Gegenstandswertes geht. Beide Verfahren finden grds. nach Beendigung des Asylverfahrens statt und können somit dessen Entscheidung nicht (mehr) verzögern.

Erstaunlicherweise befasst sich das OVG Lüneburg weder mit den Gesetzesmaterialien noch stellt es sich die Frage, welchen Zweck § 80 AsylG überhaupt verfolgt. Deshalb fragt sich der unbefangene Leser, ob sich die betreffenden Kollegen durch ihre sehr eigentümliche und weite Gesetzesauslegung Entscheidungen über die Festsetzung des Gegenstandswertes oder – wie hier – über die Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung mit leichter Hand vom Hals halten wollen.

4. Bedeutung des § 80 AsylG für weitere Verfahren

Ob der Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG für das betreffende Verfahren gilt, muss für jeden Einzelfall geprüft werden. In Betracht kommen insbesondere folgende Verfahrensarten.

a) Kostenfestsetzungsverfahren

Für die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Kostenfestsetzungsverfahren sind die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensgesetze, etwa ZPO, VwGO, FGO oder SGG, anwendbar, die ggf. durch weiteres Verfahrensrecht modifiziert werden. Daraus folgt, dass auch der in § 80 AsylG geregelte Beschwerdeausschluss für die Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren eingreift (so auch OVG Münster RVGreport 2016, 295 [Hansens] = AGS 2016, 443; VGH Mannheim Justiz 2012, 270; VGH Kassel RVGreport 2018, 391 [Ders.]). Für das Kostenfestsetzungsverfahren finden sich im RVG nämlich keine Regelungen über die Rechtsbehelfe, die den Vorschriften in den zugrundeliegenden Verfahrensgesetzen vorgehen könnten.

b) Vergütungsfestsetzungsverfahren

Beim Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 11 RVG ist die Rechtslage nicht ganz eindeutig, da § 11 Abs. 3 S. 2 RVG gerade auf die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren verweist, was dann im Widerspruch zu § 1 Abs. 3 RVG steht. Hierauf hat auch der VGH Kassel RVGreport 2018, 391 [Hansens] hingewiesen, hingegen offengelassen, ob der Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG eingreift. Das OVG Hamburg JurBüro 1994, 103 und das OVG Münster JurBüro 1995, 650 sowie RVGreport 2016, 295 [Hansens] haben sich für die Anwendung des § 80 AsylG auch für die Beschwerde im Vergütungsfestsetzungsverfahren ausgesprochen. Dem widerspricht AnwK RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, § 11 Rn ...

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