[Ohne Titel]

In AGS 2022, 433 hatten wir über die vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Verbindung von mehreren Strafverfahren berichtet. Die nachfolgenden Ausführungen schließen daran an. Der Beitrag stellt die bei der (Ab-)Trennung von Verfahren entstehenden Probleme dar.

I. Geltungsbereich

1. Sachlich

Die nachfolgenden Ausführungen gelten für das Strafverfahren nach Teil 4 VV und für das Bußgeldverfahren nach Teil 5 VV.

2. Persönlich

Die Ausführungen gelten sowohl für den Wahlanwalt, i.d.R. also für den (Wahl-)Verteidiger, als auch für den bestellten/beigeordneten Rechtsanwalt, i.d.R. also für den Pflichtverteidiger (vgl. auch III., 3.).

II. Grundsatz

Wird ein einheitliches Straf- bzw. Bußgeldverfahren in unterschiedliche Verfahren getrennt bzw. wird ein Verfahren abgetrennt, stellt sich die Frage, welche Gebühren der Rechtsanwalt ab Trennung der Verfahren noch im Ursprungsverfahren erhält und ob ihm die bereits bis dahin entstandenen Gebühren ggf. verloren gehen. Außerdem ist von Bedeutung, welche Gebühren nun noch im abgetrennten Verfahren entstehen.

 

Hinweis

Als Faustregel gilt: Durch die Trennung gehen dem Rechtsanwalt keine bereits entstandenen Gebühren verloren. Das ist der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 RVG.[1]

[1] Vgl. für die Verbindung KG AGS 2012, 392 = JurBüro 2012, 482 = RVGreport 2012, 391; StraFo 2012, 305 = AGS 2013, 407 = JurBüro 2013, 362; OLG Celle AGS 2022, 206; LG Leipzig AGS 2022, 257; Burhoff, RVGreport 2008, 444; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2114.

III. Gebührenrechtliche Konsequenzen der Trennung von Verfahren

1. Allgemeines

Wird ein einheitliches Straf- bzw. Bußgeldverfahren in unterschiedliche Verfahren getrennt, erhält der Rechtsanwalt ab der Trennung der Verfahren für jedes Verfahren gesonderte Gebühren. Es liegen dann mehrere Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG vor, die gebührenrechtlich eigenständig behandelt werden.[2] Das gilt auch für die Auslagen nach Teil 7 VV.[3] Es handelt sich nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG, d.h. um die bloße Fortführung des Ursprungsverfahrens, sondern um eine andere Angelegenheit, es sei denn die Verfahrensgegenstände sind identisch.[4] Vielmehr werden mit der Abtrennung die abgetrennten Verfahren selbstständige Verfahren, was sich i.d.R. daran zeigt, dass sie ein eigenes Gerichtsaktenzeichen führen. Dies hat gebührenrechtlich zur Folge, dass mehrere Verfahrensgebühren (nach der Zahl der getrennten Verfahren) entstehen und mehrere Terminsgebühren anfallen können.[5]

[2] KG RVGprofessionell 2007, 139 = StRR 2007, 4 [Ls.]; LG Dortmund RVGreport 2015, 177 = StRR 2015, 238; LG Itzehoe AGS 2008, 233 = StraFo 2008, 92; AG Tiergarten RVGreport 2010, 140 = AGS 2010, 220 = StRR 2010, 400; Burhoff, RVGreport 2008, 444; Hartung/Schons/Enders/Hartung, RVG, 3. Aufl., 2016, Nr. 4108–4111 VV Rn 11 ff.; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, Vor VV 4104 f. Rn 4, VV 4104–4105 Rn 27, VV 4106–4107 Rn 8; a.A. offenbar, zumindest nicht ganz eindeutig LG Kaiserslautern RVGreport 2018, 137; zu den Angelegenheiten Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 99.
[3] KG, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., 2021, VV 7001, 7002 Rn 28; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 7001–7002 Rn 45.
[4] Dazu LG Dortmund und LG Kaiserslautern, jeweils a.a.O., und unten Beispiel 1.
[5] KG, a.a.O.; vgl. auch die Fallgestaltung bei LG Bremen RVGreport 2013, 231 = VRR 2012, 357 = StRR 2012, 479 = DAR 2013, 58 = AGS 2013, 279, jeweils m. Anm. Burhoff [für das Bußgeldverfahren].

2. Grundgebühr Nr. 4100 VV

Das gilt allerdings nur für die nach der Trennung in den jeweiligen Verfahrensabschnitten noch anfallenden Verfahrens- und Terminsgebühren.[6] Für die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV gilt das grds. nicht, da insoweit bereits die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall erfolgt ist.[7]

[6] Auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 58 f., 83.
[7] OLG Stuttgart AGS 2010, 292; vgl. unten Beispiele 4 und 5.

3. Pflichtverteidigerbestellung

Für die Trennung von Verfahren ist umstritten, ob eine im Ursprungsverfahren erfolgte Bestellung bzw. Beiordnung des Rechtsanwalts, z.B. als Nebenklägerbeistand oder Pflichtverteidiger, für die nach der Trennung vorliegenden eigenständigen Verfahren fortgilt.[8] Wegen der unterschiedlichen Auffassungen sollte der Rechtsanwalt auf eine klarstellende Beiordnung und Bestellung in allen Verfahren hinwirken. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf eine ggf. zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderung. Zwar sieht § 60 Abs. 1 S. 4 RVG für Rechtsänderungen vor, dass für die Vergütung ggf. neues Recht anzuwenden ist, wenn die Beiordnung oder Bestellung auch eine Angelegenheit erfasst, in der der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird. Die Formulierung in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG "Erfasst die Bestellung …" legt aber nahe, dass damit nur die Fälle gemeint sind, in denen sich eine Beiordnung oder Bestellung auf andere Angelegenheiten erstreckt, was in den Fällen der Trennung nicht ohne Weiteres der Fall ist.[9]

[8] Vgl. einerseits bejahend Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., § 48 Rn 65 und Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 2301; a.A. OLG ...

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