Der Beschluss ist in vielerlei Hinsicht dünn und oberflächlich begründet.

Ausführungen zum Bemessungskriterium des “Haftungsrisikos‘ enthält der Beschluss keine.

Nach § 14 Abs. 1 S. 2 RVG kann ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei der Gebührenbestimmung berücksichtigt werden. Sofern es sich um Betragsrahmengebühren handelt, ist das Haftungsrisiko bei der Gebührenbestimmung zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG), da der Wert der Angelegenheit keinen unmittelbaren Einfluss auf die zu bestimmende Gebühr hat. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine eigenständige Gebühr im Sinne einer Haftungsgebühr (BSG, Urt. v. 27.1.2009 – B 7/7a AL 20/07 R; BSG, Urt. v. 12.12.2019 – B 14 AS 48/18 R).

In der Praxis stellt das Haftungsrisiko – trotz ausdrücklicher Normierung – allenfalls eine untergeordnete Rolle und wird bei der Gebührenbestimmung weitestgehend unberücksichtigt gelassen, denn das generelle Haftungsrisiko hat keinen direkten Einfluss auf die Höhe einer Gebühr.

Die Haftungsrisiken der Prozessvertreter sind aufgrund zahlreicher Korrekturmöglichkeiten im Bereich des SGB II (Grundsatz der klägerfreundlichen Auslegung, Meistbegünstigungsgrundsatz, Überprüfungsmöglichkeit, Erlassantrag) und des strengen Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 103 SGG allgemein theoretischer Natur (LSG Sachsen, Beschl. v. 18.10.2013 – L 8 AS 1254/123 B). Allenfalls kann das im Einzelfall unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabs zu bestimmende besondere Haftungsrisiko zu einer höheren Gebühr führen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 29.7.2008 – L 6 B 141/07; BSG, a.a.O.).

Mit einem generellen Haftungsrisiko lässt sich regelmäßig keine über dem Mittelwert liegende Gebühr begründen (LSG NRW, Urt. v. 5.5.2008 – L 3 R 84/08).

Sämtliche Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG stehen jedoch gleichwertig nebeneinander. Demnach muss auch ein im Einzelfall vorhandenes Haftungsrisiko ein unterdurchschnittliches weiteres Bemessungskriterium des § 14 Abs. 1 RVG kompensieren können. Dies ist jedoch stets einzelfallbezogen zu prüfen.

Dem Beschluss sinngemäß folgend muss sich das anwaltliche Haftungsrisiko vorliegend nach der Höhe der Forderungssumme des Sozialhilfeträgers aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid richten. Die Höhe der geforderten Erstattungssumme kann dem Beschluss leider nicht entnommen werden. Diese muss jedoch zur Kompensation der vorhandenen Synergieeffekte geeignet gewesen sein.

Auch können dem Beschluss keine weiteren Ausführungen zur Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit entnommen werden. Es bleibt also offen, was genau mit einer "komplexen Bescheidlage" und einer "erheblichen Anzahl" an Bescheiden gemeint ist.

Falsch dürfte jedoch zweifelsohne die weitergehende Begründung sein, die Mittelgebühr sei aufgrund der Vielzahl an Überprüfungsanträgen und dem großen Umfang der Verwaltungsvorgänge gerechtfertigt.

Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X sind regelmäßig nicht Bestandteil des streitigen Verfahrens, sondern münden ggf. in diesem nach Widerspruch.

Die dortige anwaltliche Tätigkeit wird von der Geschäftsgebühr abgegolten, welche nicht aus der Staats- bzw. Landeskasse zu erstatten ist.

Dipl.-RPfleger Julian Dahn, Herford

AGS 1/2021, S. 25 - 26

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