Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Verfahrensgebühr. Festsetzung der Mittelgebühr. Gleichwertigkeit der Bemessungskriterien des § 14 Abs 1 RVG. Kompensation. Berücksichtigung des Haftungsrisikos und der Bedeutung der Angelegenheit. Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei Parallelverfahren

 

Orientierungssatz

1. Die Kriterien des § 14 Abs 1 RVG stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Alle Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Das Abweichen eines Bemessungskriteriums vom Durchschnitt kann von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden (vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R = BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2).

2. Zur Berücksichtigung des Haftungsrisikos sowie der Bedeutung der Angelegenheit bei der Gebührenbemessung.

3. Zur Festsetzung der Mittelgebühr bei Vorliegen einer erheblichen Anzahl von Bescheiden und Überprüfungsanträgen sowie von umfangreichen Verwaltungsvorgängen.

 

Tenor

Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers vom 27.01.2020 gegen die Festsetzung der Vergütung im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe vom 20.01.2020 werden die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 655,45 EUR festgesetzt. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG).

Dem Erinnerungsverfahren liegt eine am 21.01.2019 erhobene Klage zugrunde, in welcher die Kläger sich gegen eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung des Beklagten wandten sowie die Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) begehrten.

Mit Beschluss vom 03.03.2019 bewilligte das Gericht den Klägern ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers.

Das Verfahren wurde im Erörterungstermin am 16.12.2019 für erledigt erklärt.

Unter dem 16.01.2020 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung und Erstattung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 655,45 EUR unter Berücksichtigung folgender Einzelpositionen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG Gebührenerhöhung für 2 Auftraggeber, Nr. 1008 VV RVG 390,00 EUR Anrechnung Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV RVG - 44,85 EUR Terminsgebühr. Nr. 3106 VV RVG 330,00 EUR Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Reisekosten, Nr. 7003-2006 VV RVG 20,18 EUR Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 135,91 EUR Zwischensumme brutto 851,24 EUR Auf Erstattung anzurechnen (zur Kostenfestsetzung gegen Beklagten) 195,79 EUR Erstattungsbetrag Staatskasse 655,45 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die zu zahlenden Gebühren und Auslagen unter Kürzung der Verfahrensgebühr auf 150,00 EUR mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20.01.2020 auf 576,78 EUR fest. Zur Begründung führte sie aus, die Parallelverfahren S 38 AS 3152/18 sowie S 38 AS 3157/18 hätten den gleichen Inhalt gehabt. Der Arbeitsaufwand habe sich daher reduziert.

Hiergegen hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 27.01.2020 Erinnerung eingelegt und begehrt die Festsetzung der Gebühren in beantragter Höhe. Er ist der Auffassung die komplexe Bescheidlage kompensiere den genannten Synergieeffekt.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und diese der Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Prozesskostenhilfenebenakte Bezug genommen.

II. Die gemäß § 56 Absatz 1 Satz 1 RVG statthafte Erinnerung ist begründet. Der Erinnerungsführer hat einen Anspruch auf Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in beantragter Höhe.

Gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Absatz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nach § 183 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - wie vorliegend im Anwendungsbereich des Sozialgesetz-buch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) - nicht anzuwenden ist, für die anwaltliche Tätigkeit Rahmengebühren. Diese Rahmengebühren bestimmt der Anwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen, § 14 Absatz 1 Satz 1 RVG. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung gemäß § 14 Absatz 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dritter in diesem Sinne ist auch die Staatskasse. Entspricht die Bestimmung der Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt nicht der Billigkeit, ist sie richterlich zu korrigieren (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW), Beschluss v....

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