Die zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet.

Die Rechtsanwaltskosten waren nach der ab dem 1.8.2013 geltenden Fassung des RVG zu berechnen. Nach der Übergangsregelung des § 60 RVG ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist. Der Prozessbevollmächtigte war zwar zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens beauftragt worden, Widerspruchsverfahren und Klageverfahren stellen aber unterschiedliche Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG dar. Für das Klageverfahren war ein neuer Auftrag zu erteilen. Dieser ist ausweislich der im Klageverfahren vorgelegten Vollmacht vom 12.8.2013 und nach den übereinstimmenden Angaben des Prozessbevollmächtigten und des Klägers erst am 12.8.2013 erteilt worden. Auch die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ist erst nach dem 1.8.2018, durch PKH-Beschl. v. 8.8.2018, erfolgt.

Das Gericht hält in Übereinstimmung mit der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Verfahrensgebühr in Umfang der Höchstgebühr für gerechtfertigt. Diese beträgt nach Nr. 3102 VV 550,00 EUR. Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens waren ganz wesentlich durch eine schwierige Kommunikation mit dem Kläger bestimmt, wodurch nachvollziehbar mehrere Termine zwischen Anwalt und Kläger stattgefunden haben. Diese Schwierigkeit zeigt sich deutlich an den klägerischen, teils handgeschriebenen Schriftsätzen. Insbesondere der Umfang der Verwaltungsakten (1432 Blatt) sowie der Umfang der ebenfalls zu sichtenden weiteren Klageverfahren des Klägers mit insgesamt 14 Bänden Klage- und Verwaltungsakte bedeuten einen enormen zeitlichen Aufwand für den Klägerbevollmächtigten, der unter Berücksichtigung der übrigen Kriterien des § 14 RVG mit der Höchstgebühr zu entschädigen ist. Die Höhe der unstreitig entstandenen Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV) richtet sich nach der Höhe der Verfahrensgebühr.

Eine Terminsgebühr ist nicht entstanden. Eine sogenannte "fiktive" Terminsgebühr fällt nach Nr. 3106 S. 2 Nr. 1 VV an, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.

Das Gericht folgt der überwiegenden sozialgerichtlichen Rspr., wonach unter einem "schriftlichen Vergleich" i.S.v. Nr. 3106 S. 2 Nr. 1 2. Alt. VV nur ein – hier nicht vorliegender – unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 12.12.2013 – B 4 AS 17/13 R, juris Rn 22) oder nach § 101 Abs. 1 S. 2 SGG gemeint ist. Das folgt aus der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Gebührenziffer (Sächsisches LSG, Beschl. v. 19.5.2017 – L 8 R 682/15 B KO; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.3.2015 – L 9 AL 277/14 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 20.7.2015 – L 7/14 AS 64/14 B [= AGS 2016, 69]; Bayerisches LSG, Beschl. v. 29.11.2016 – L 15 SF 97/16 E [= AGS 2017, 114]; SG Fulda, Beschl. v. 8.12.2017 – S 4 SF 23/17 E; SG Marburg, Beschl. v. 5.7.2016 – S 10 SF 96/14; a.A.: LSG Neustrelitz, Beschl. v. 14.3.2018 – L 13 SB 1/17 [= AGS 2018, 172]; SG Neuruppin, Beschl. v. 16.9.2016 – S 31 SF 56/16 E [= AGS 2016, 569]; SG Dessau, Beschl. v. 15.3.2017 – S 1 R 535/13 [= AGS 2017, 220]; Loytved, jurisPR-SozR 8/2018 Anm. 5).

Nach der Begründung des Entwurfs zum 2. KostRMoG sollte durch die Ergänzung der Nr. 3106 S. 2 Nr. 1 2. Alt. VV eine Angleichung an Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV erfolgen (vgl. BT-Drucks 17/11471, 275 zu Nr. 29). Ein schriftlicher Vergleich im Sinne dieser Vorschrift ist nach herrschender Rspr. indes nur ein Vergleich, der nach § 278 Abs. 6 ZPO oder § 106 S. 2 VwGO unter konstitutiver Mitwirkung des Gerichts geschlossen wird (BGH, Beschl. v. 27.10.2005 – III ZB 42/05 [= AGS 2005, 540]; v. 10.7.2006 – II ZB 28/05; OVG Berlin, Beschl. v. 16.3.2009 – OVG 1 K 72.08; VG Berlin, Beschl. v. 23.6.2008 – 14 KE 227.06, 14 V 29.05).

Die Verwendung des Terminus "Vergleich" in Nr. 3104 Nr. 1 VV und Nr. 3106 Nr. 1 VV macht deutlich, dass es sich um einen bereits seiner äußeren Form nach als Vergleich erkennbaren Prozessvergleich handeln soll. In Nr. 1000 VV hat der Gesetzgeber bewusst das Kriterium des gegenseitigen Nachgebens und damit eines Vergleichs i.S.v. § 779 BGB aufgegeben, um den zuvor häufig ausgetragenen Streit darüber zu vermeiden, in welchem Umfang ein gegenseitiges Nachgeben für einen solchen Vergleich zu fordern ist. Würde in Nr. 3104 Nr. 1 VV und Nr. 3106 Nr. 1 VV jeder schriftliche, außergerichtliche Vergleich eine fiktive Terminsgebühr auslösen, wäre wiederum die Frage nach den an einen solchen Vergleich zu stellenden Anforderungen in jedem Einzelfall zu lösen. Das soll aber gerade vermie...

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