Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. fiktive Terminsgebühr. Vorliegen eines schriftlichen Vergleichs iS von Nr 3106 RVG-VV. gerichtlicher Vergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr 3106 S 1 Nr 1 VV RVG (juris: RVG-VV) ist nur ein gerichtlicher Vergleich nach § 101 Abs 1 S 2 SGG oder ein solcher nach § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 ZPO, sofern der in der Hauptsache zuständige Richter diese Regelung nach Einführung des § 101 Abs 1 S 2 SGG weiterhin für anwendbar hält.

 

Normenkette

SGG § 101 Abs. 1 S. 2, § 202; RVG § 2 Abs. 2 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 4 S. 3, Abs. 8 S. 2, § 56 Abs. 2 Sätze 1-3; VV RVG Nr. 1000; VV RVG Nr. 3104 Nr. 1, Nr. 3106 Nr. 2; BRAGO § 23; ZPO § 278 Abs. 6; BGB § 779; VwGO § 106 S. 2

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung einer im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwältin.

Der Kläger führte, anwaltlich vertreten durch die Beschwerdeführerin, vor dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) das Berufungsverfahren L 5 R 716/14. Seine auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gerichtete Klage hatte das Sozialgericht (SG) mit Gerichtsbescheid vom 08.08.2014 abgewiesen. Im Berufungsverfahren holte das LSG Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ergänzende Stellungnahmen des erstinstanzlich beauftragten Gutachters ein und bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 22.10.2014 PKH unter Beiordnung der Beschwerdeführerin. Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen gab die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.12.2014 ein Vergleichsangebot zur Beendigung des Rechtsstreites ab. Ziffer 4 des Vergleichsvorschlags sah hierbei vor, dass die Beteiligten den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt erklären. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 07.01.2015 die Annahme dieses Vergleichsangebotes.

Mit Schriftsatz vom 09.01.2015 beantragte die Beschwerdeführerin, ihre aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnis (VV RVG) für das Berufungsverfahren L 5 R 716/14 wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr (Nr. 3204 VV RVG)

  370,00 €

Terminsgebühr (Nr. 3205 VV RVG) schriftlicher Vergleich

  277,50 €

Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG)

  370,00 €

Zwischensumme

1.017,50 €

Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG)

   20,00 €

Zwischensumme netto

1.037,50 €

Mehrwertsteuer 19,00 %

  197,13 €

Gebühren brutto

1.234,63 €

abzüglich Zahlungen der Staatskasse

 -464,10 €

Erstattungsbetrag Staatskasse

  770,53 €

Mit Verfügung vom 04.03.2015 setzte die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Berufungsverfahren wie folgt fest:

Verfahrensgebühr (Nr. 3204 VV RVG)

  370,00 €

Vergleichsgebühr (Nr. 1006 VV RVG)

  370,00 €

Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG)

   20,00 €

insgesamt

  760,00 €

19 % Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG)

  144,40 €

Gesamtsumme

  904,40 €

abzüglich Vorschuss Staatskasse (Festsetzung vom 04.11.2014)

 -464,10 €

Auszahlungsbetrag

  440,30 €

Die zur Festsetzung beantragte Terminsgebühr sei nicht entstanden. Zwar verweise Nr. 3205 VV RVG auf Nr. 3106 Nr. 1 VV RVG. Dessen Voraussetzungen, nämlich der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, lägen indes nicht vor. Welche Bedingungen ein schriftlicher Vergleich zu erfüllen habe, um eine (fiktive) Terminsgebühr zu verdienen, regele § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Seien diese Anforderungen - wie hier - nicht erfüllt, handele es sich nicht um einen Prozessvergleich, sondern um einen außergerichtlichen Vergleich, der keine fiktive Terminsgebühr auslöse.

Gegen die Absetzung der Terminsgebühr wandte sich die Beschwerdeführerin im Wege der Erinnerung. Nr. 3205 i.V.m. Nr. 3106 Nr. 1 RVG verlange den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs. Ein solcher liege hier vor, insbesondere sei das Formerfordernis des § 126 BGB erfüllt.

Der Beschwerdegegner ist der Erinnerung entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 01.07.2015 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Eine (fiktive) Terminsgebühr sei nicht entstanden. Das Verfahren sei durch übereinstimmende Erledigungserklärung (Ziffer 4 des Vergleichs) beendet worden. Ein schriftlicher Vergleich im Sinne der Nr. 3106 Nr. 1 RVG liege nur dann vor, wenn die Beteiligten dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiteten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annähmen und das Gericht das Zustandekommen und den Inhalt eines so geschlossenen Vergleichs durch Beschluss feststelle (§ 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung [ZPO]) oder wenn die Beteiligten einen in Form eines Beschusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitz...

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