Tenor

1 Die Betroffene wird freigesprochen.

2 Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

 

Gründe

I. Das Gericht kann durch Beschluss gemäß § 72 OwiG entscheiden, dass es eine Durchführung der Hauptverhandlung für nicht erforderlich erachtet.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Abgabeverfügung einer Entscheidung im Beschluss nicht widersprochen. Der Die Betroffene musste auf die Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss gemäß § 72 OWiG nicht hingewiesen werden, da er sie freigesprochen wird (§ 72 Abs. 1 Satz 3 OWiG).

II. Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2009 wird der Betroffenen durch den Zentraldienst der Polizei (Zentrale Bußgeldstelle) in G... vorgeworfen,

am 08.09.2009 um 16.18 Uhr auf der BAB ... in Höhe des Kilometers 5,4 in Fahrtrichtung der Anschlussstelle V... die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h überschritten zu haben.

Ausweislich des Messprotokolls vom Tattage wurde ein Geschwindigkeitsmessgerät des Typs ES 3.0 verwandt.

Dieses Messgerät stellt die vom gemessenen Fahrzeug gefahrene Geschwindigkeit dadurch fest, dass das betreffende Fahrzeug mehrere Lichtschranken in Höhe des Sensorkopfes des Messgerätes durchfährt. Der Sensorkopf wird parallel zur Fahrbahn aufgestellt und aus den im rechten Winkel über die Fahrbahn verlaufenden Lichtschranken ergibt sich die Messlinie (in Höhe Sensorkopf-Mitte). Die sogenannte "Fotolinie" befindet sich 3 m hinter der Messlinie aus Fahrtrichtung des zu messenden Fahrzeuges gesehen.

Das Messgerät ES 3.0 löst nach einem festgestellten Geschwindigkeitsverstoß die Fotodokumentation erst mit Verzögerung aus. Die Fotolinie, welche sich ca. 3 m hinter der Messlinie befindet, und auf die die Kamera auszurichten ist, soll daher sicherstellen, dass das gemessene Fahrzeug hinreichend deutlich fotografisch dokumentiert wird.

Dies ermöglicht eine klare Zuordnung der Messung zu einem Fahrzeug, wenn mehrere Fahrzeuge in kurzem Abstand die Messlinie passieren. Das gemessene Fahrzeug befindet sich dann in der sogenannten "logischen Fotoposition". Diese ergibt sich aus der Fotolinie, der Position des abgebildeten Fahrzeuges und der gemessenen Geschwindigkeit.

Bei der Überprüfung der logischen Fotoposition kann somit nicht nur festgestellt werden, welchem Fahrzeug ggf. eine Geschwindigkeitsüberschreitung zuzuordnen ist, sondern auch, anhand der Fahrzeugposition im Verhältnis zur Fotolinie, ob die durch das Messgerät ermittelte Geschwindigkeit schlüssig ist.

In der Bedienungsanleitung zu dem Messgerät ES 3.0 heißt es,

[...] 8.2.3 Fotolinie

für eine sichere Auswertung wird eine Dokumentation der Fotolinie an der Messstelle benötigt.

Die Fotolinie ist eine gedachte Linie quer zur Fahrbahn und befindet sich ca. 3 m in Fahrtrichtung hinter dem Sensorkopf (Sensorkopfmitte). Die Stelle an der sich diese Linie befindet, ist nachvollziehbar gekennzeichnet (Leitkegel, Reflexfolie, Kreidestriche, Spraydose o.ä.) und fotografisch als Fotolinie mindestens in einem Foto zu Beginn der Messung dokumentiert worden [...]

Nach Inaugenscheinnahme der im vorliegenden Verfahren durch die Bußgeldbehörde beigefügten "Fotoliniendokumentation" (Bl. 22 d. A.) muß festgestellt werden, dass die dort als Fotolinie bezeichnete Linie lediglich durch ein sogenanntes "Lübecker Hütchen" am äusseren Fahrbahnrand gekennzeichnet ist. Da eine Linie notwendigerweise aus 2 Punkten besteht, im vorliegenden Fall jedoch nur ein Punkt der Linie, nämlich der am äußeren Fahrbahnrand sich befindliche, erkennbar abgebildet ist, ist der Verlauf der Fotolinie gänzlich unklar. Die Fotolinie ist jedoch ein unverzichtbares Element zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung durch das Messgerät vom Typ ES 3.0.

Da im vorliegenden Fall die vom Hersteller in seiner Bedienungsanleitung geforderte "nachvollziehbare" gekennzeichnete Fotolinie fehlt, ist anhand der durch die Verwaltungsbehörde vorgelegten Beweismittel nicht klar erkennbar, ob es sich bei dem gemessenen Fahrzeug tatsächlich um das Betroffenenfahrzeug handelt und ob die gemessene Geschwindigkeit im Einklang mit der Fotodokumentation vom Betroffenenfahrzeug steht.

Eine Schlüssigkeitsprüfung der Messung ist dem Gericht daher verwehrt.

Erschwerend kommt insofern hinzu, dass aus der hier vorliegenden unzulänglichen Fotoliniendokumentation nicht einmal erkennbar wird, ob bei dieser Dokumentation überhaupt der Bereich abgebildet worden ist, durch den an irgendeiner Stelle die Fotolinie verläuft, oder ob es sich stattdessen nicht tatsächlich um eine "Messliniendokumentation" handelt.

Die zusätzliche Dokumentation der Messlinie, welche beim Vorgängermodel des hier verwandten Messgerätes, dem Messgerät Typ ES 1.0, regelmäßig durchgeführt wurde, ist für das Nachfolgemodell ES 3.0 vom Gerätehersteller nicht mehr vorgeschrieben. Gleichwohl wäre die ordnungsgemäße Dokumentation beider Linien, also der Mess- und der Fotolinie, bei der Auswertung der Messung sehr hilfreich, da auf diese Weise Fehldokumentationen unter Verw...

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