Leitsatz (amtlich)

1. Nach Freigabe des Geschäftsbetriebes kann auf Antrag eines Neugläubigers ein Zweitinsolvenzverfahren eröffnet werden. Voraussetzung ist, dass die Verfahrenskosten voraussichtlich gedeckt sind. Dies gilt auch, wenn das Erstinsolvenzverfahren nach Aufhebung des Verfahrens sich in der Restschuldbefreiungsphase befindet.

2. Eine Stundung der Verfahrenkosten gem. § 4a InsO scheidet aus.

3. Fehlt es daran, muss der Schuldner nicht gem. § 20 InsO über die Möglichkeit von Restschuldbefreiung und Stundungsantrag belehrt werden (AG Göttingen, Beschl. v. 16.09.2011 - 71 IN 89/11, NZI 2011, 861).

 

Tenor

Der Antrag vom 29.09.2011 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Gegenstandswert wird auf bis zu 1.200 EURO festgesetzt.

 

Gründe

I. Über das Vermögen des Schuldners ist am 09.10.2006 unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Am 03.11.2006 hat der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb (Visagist) freigegeben. Mit Beschluss vom 21.05.2008 ist nach Rechtskraft der Ankündigung der Restschuldbefreiung das Verfahren aufgehoben worden. Ein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung ist mit Beschluss vom 27.11.2009 zurückgewiesen worden, da der Schuldner aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit pfändbare Einnahmen erst zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung abführen müsse.

Mit bei Gericht am 04.10.2011 eingegangenen Schreiben beantragt die Antragstellerin wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge im Zeitraum 01.01.2009 bis 31.07.2011 in Höhe von 2.048,60 € die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach Durchführung eines Anhörungstermins zur Auskunftserteilung gem. §§ 20, 98 InsO durch den Schuldner schlägt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 20.12.2011 unter Feststellung von Neuverbindlichkeiten in Höhe von ca. 8.000 € und eines Vermögens von knapp 1.000 € die Abweisung mangels Masse vor.

II. Der Antrag ist gem. § 26 InsO abzuweisen, da die Verfahrenskosten voraussichtlich nicht gedeckt sind (1.). Ein Anspruch auf Stundung der Verfahrenskosten gem. § 4a InsO besteht nicht (2). Daher muss der Schuldner nicht über die Möglichkeit eines Stundungsantrages belehrt werden (3).

1) Die Ablehnung des Eröffnungsantrages beruht auf § 26 Abs. 1 InsO. Die durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) vorliegt, aber keine Masse vorhanden ist, die die Verfahrenskosten deckt. Der Antragsteller hat bereits in der Antragschrift abgelehnt, einen Massekostenvorschuss zu zahlen.

2) Eine Belehrung des Schuldners gem. § 20 Abs. 2 InsO über die Möglichkeit, Eigenantrag mit Antrag auf Stundung und Restschuldbefreiung zu stellen, ist nicht erforderlich. Es handelt sich um einen sog. Zweitinsolvenzantrag, bei dem eine Stundungsbewilligung nicht möglich ist.

a) Während eines noch laufenden Erstinsolvenzverfahrens ist ein Antrag eines Neugläubigers nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls zulässig bei freigegebenem Geschäftsbetrieb. Die Einkünfte, die der Schuldner erzielt, stehen den Gläubigern, deren Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung; ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren nur zur Befriedigung der Neugläubiger ist daher möglich (BGH, Beschl. v. 09.06.2011 - IX ZB 175/10, ZInsO 2011, 1349, 1350 Rz. 7 = Insbüro 2011, 310 = NZI 2011, 633 = VIA 2011, 68 = ZIP 2011, 1326 = EWiR 2011, 751 = Rpfleger 2011, 550). Neugläubiger müssen das Vorhandensein neuen Vermögens nicht darlegen und glaubhaft machen; ein Zweitinsolvenzverfahren kann allerdings nur eröffnet werden, wenn die Verfahrenskosten gedeckt sind (BGH ZInsO 2011, 1349, 1350 Rz. 12).

b) Im vorliegenden Fall ist das Erstinsolvenzverfahren allerdings aufgehoben, der Schuldner befindet sich in der sog. Wohlverhaltensperiode.

aa) Im eröffneten Verfahren sind zwei getrennte Haftungsmassen vorhanden. Die Insolvenz(Alt)Gläubiger können nicht in das freigegebene Vermögen vollstrecken. Das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO bezieht sich nicht nur auf die Insolvenzmasse, sondern auch auf das sonstige Vermögen des Schuldners. Darunter fällt auch freigegebenes Vermögen (BGH ZInsO 2006, 261, 264 Rn. 26; BGH NZI 2009, 382 Rz. 12). Darauf können nur Neugläubiger zugreifen.

bb) Nach Aufhebung des Verfahrens liegt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht (§ 80 InsO) liegt wieder beim Schuldner. Vordergründig sind die ehemals getrennten Haftungsmassen wieder vereint. Allerdings gilt das Vollstreckungsverbot für Insolvenzgläubiger weiter. § 294 Abs. 1 InsO erklärt Zwangsvollstreckungen in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung für unzulässig. Der Umfang des Vollstreckungsverbotes entspricht demjenigen des § 89 InsO (Hambk-Streck § 294 Rz. 6). Darunter fällt auch gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebenes Vermögen (FK-InsO/Ahrens § 294 Rz. 19). Eine Vollstreckungsmöglichkeit besteht inso...

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