Nachgehend

LG Flensburg (Beschluss vom 04.05.2004; Aktenzeichen 7 S 189/03)

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

  1. EUR 1.754,90 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14.08.2003 zu zahlen
  2. Schmerzensgeld in Höhe von EUR 1.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14.08.2003 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus der Beschädigung seines Motorrades, Heilbehandlungskosten, Gutachterkosten sowie einen Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte geltend.

Am 16.10.2002 kam es auf der L. zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Kläger und der …. Der Kläger befuhr an diesem Tag gegen 6.50 Uhr die L. mit seinem Motorrad, als Frau … zu Fuß die Fahrbahn des Klägers überquerte. Zu diesem Zeitpunkt war es dunkel und die Fahrbahn war nass. Es kam zu einer Kollision zwischen dem Kläger und Frau …, wobei letztere an der Unfallstelle verstarb. Der Kläger erlitt einen Schock und einen Bruch des Kahnbeines im linken Handgelenk. Er hatte zwölf Wochen einen Gips und musste insgesamt zwölf mal zur Durchsicht ins Krankenhaus, was jeweils eine Fahrt von dreißig Kilometer erforderte.

Außerdem entstand durch den Unfall an dem Motorrad des Klägers ein Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert beträgt gemäß des vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten vom 28.01.2003 EUR 1.450,00. Die Kosten des Gutachtens betrugen EUR 176,90 und wurden vom Kläger bezahlt.

Zur Zeit des Unfalls lebte Frau … im Wohnheim …, deren Trägerin die Beklagte ist. Ausweislich ihres vom Versorgungsamt Schleswig ausgestellten Behindertenausweises war Frau … zu 100 % schwerbehindert. Ferner war laut des Behindertenausweises die Notwendigkeit der ständigen Begleitung nachgewiesen. Außerdem enthielt der Ausweis das Merkzeichen „H” für Hilflos.

Der Kläger behauptet, er sei mit einer den Witterungsverhältnissen angepassten Geschwindigkeit gefahren und die Unfallgegnerin habe plötzlich und nicht vorhersehbar die Fahrbahn überquert, so dass für den Kläger keine Möglichkeit bestanden habe, rechtzeitig zu bremsen oder auszuweichen.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, da sie die Unfallgegnerin … nicht unbeaufsichtigt und ohne Begleitung die Straße hätte überqueren lassen dürfen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

  1. EUR 1.754,90 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
  2. ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber EUR 1.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, ein Aufsichtspflichtverschulden ihrerseits sei nicht gegeben, da … von diesbezüglich qualifizierten und geschulten Mitarbeitern des Heimes in ihrem Verkehrsverhalten trainiert worden sei. Von diesen sei ihr nach diesem Training – was unstreitig ist – attestiert worden, dass sie nunmehr in der Lage sei, eigenständig im öffentlichen Personennahverkehr von zu hause zur Arbeit und zurück zu fahren.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von EUR 1.754,90 aus § 832 Abs. 2 i.V.m. § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Beklagte hatte sich zunächst unstreitig durch Aufnahme von Frau … in ihr Behindertenwohnheim vertraglich verpflichtet, die Aufsicht über diese zu führen. Ebenso unstreitig bedurfte Frau … dieser Aufsicht aufgrund ihres geistigen Zustands. Der Behindertenausweis kennzeichnete Frau … mit dem Buchstaben „H” als hilflos.

Frau … wiederum hat ihrerseits dem Kläger widerrechtlich einen Schaden zugefügt, indem sie die L. zu Fuß überquerte und dabei mit dem Motorrad des Klägers kollidierte.

Gemäß § 25 Abs. 3 StVO haben Fußgänger beim Überschreiten von Fahrbahnen den Vorrang des Fahrzeugverkehrs zu beachten. Der Unfallhergang spricht prima facie dafür, dass die Vertorbene diese Vorschrift nicht beachtet und somit widerrechtlich gehandelt hat. Gegenteiliges hat die Beklagte nicht dargelegt.

Der Schadenseintritt ist adäquat kausal auf eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagte zurückzuführen, die es zugelassen hat, dass Frau … ohne Begleitung trotz Dunkelheit und Nässe die vielbefahrene Landesstraße L. überquerte, obwohl Frau Kretzler aufgrund ihrer geistigen Behinderung ausweislich der Eintragung in ihrem Schwerbehindertenausweis ständiger Begleitung bedurfte.

Die Beklagte hat auch den ihr möglichen Entlastungsbeweis gemäß § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht führen können. Ihre Argumentation, sie habe die Verunglückte durch ihre Mitarbeiter in ihrem „Verkehrsverhalten” trainiert und diese habe ein Zertifikat erhalten, in dem ihr bescheinig...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge