Das Wichtigste in Kürze:

1. Augenscheinsbeweis ist die sinnliche Wahrnehmung der Existenz, Lage oder Beschaffenheit eines Objekts.
2. Bei der Einnahme eines richterlichen Augenscheins ist dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nach § 168d Abs. 1 die Anwesenheit gestattet.
3. Will der Richter bei der Augenscheinseinnahme einen SV hinzuziehen, kann der Beschuldigte nach § 168d Abs. 2 beantragen, dass seine von ihm vorgeschlagenen SV ggf. ebenfalls zu dem Termin geladen werden.
4. Über den richterlichen Augenschein ist gem. § 86 ein Protokoll aufzunehmen. Das ist in der HV verlesbar.
 

Rdn 644

 

Literaturhinweise:

Dähn, Die Leichenöffnung: Augenscheins- oder Sachverständigenbeweis?, JZ 1978, 640

Geppert, Der Augenscheinsbeweis, Jura 1996, 307

Haas, Der Beschuldigte als Augenscheinsobjekt, GA 1997, 368

Hoppmann, Videografie – Hilfe bei Rekonstruktion, Beweissicherung und Dokumentation, Krim 2002, 190

Kretschmer, Begriff und Bedeutung des Beweisantrages außerhalb der HV, StraFo 2013, 184

Wagner, Öffentlichkeitsgrundsatz und Inaugenscheinnahme im Rahmen der strafprozessualen Hauptverhandlung, StV 2019, 858.

 

Rdn 645

1. Der (richterliche) Augenschein ist in § 86 geregelt. Augenschein i.S.d. StPO ist jede sinnliche Wahrnehmung der Existenz, Lage und Beschaffenheit eines Objekts, die nicht als Zeugen-, SV-, Urkundenbeweis oder als Beschuldigtenvernehmung geregelt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 86 Rn 1; KK-Hadamitzky, § 86 Rn 1). § 86 regelt nur den Augenschein außerhalb der HV (zur Augenscheinseinnahme in der HV Burhoff, HV, Rn 348 ff. m.w.N. und Wagner StV 2019, 858).

 

Rdn 646

2. Bei der Einnahme eines richterlichen Augenscheins ist dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nach § 168d Abs. 1 die Anwesenheit gestattet. Auch der → Verletztenbeistand/Opferanwalt, Teil V Rdn 4685, hat nach § 406h Abs. 2 S. 3 ein Anwesenheitsrecht.

 

☆ Nimmt der Verteidiger/Rechtsanwalt an einer richterlichen Augenscheinseinnahme teil, erhält er dafür eine (Vernehmungs-)Terminsgebühr nach Nr. 4102 Ziff. 1 VV RVG (dazu Burhoff/Volpert/ Burhoff , RVG, Nr. 4102 VV Rn 15 ff.).(Vernehmungs-)Terminsgebühr nach Nr. 4102 Ziff. 1 VV RVG (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 VV Rn 15 ff.).

 

Rdn 647

Die Möglichkeiten, das Anwesenheitsrecht nach § 168c Abs. 3 S. 1, Abs. 4 einzuschränken, gelten aber auch hier (s. § 168d Abs. 1 S. 2), entbinden aber nicht von der Pflicht, vom Termin zu benachrichtigen. Die Möglichkeit, die Benachrichtigung des Verteidigers zu unterlassen, gilt nach den Änderungen des § 168c Abs. 5 S. 2 durch das "Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a." v. 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) nur noch in den Fällen des § 168c Abs. 2 – Zeugen und SV. Die Vorschrift des § 168d hat nur wenig praktische Bedeutung. I.d.R. wird sich der Richter nämlich eines sog. Augenscheinsgehilfen bedienen, z.B. eines Polizeibeamten, der sich eine Örtlichkeit ansehen und später darüber als Zeuge vernommen werden soll.

 

☆ Auf die Augenscheinseinnahme durch Augenscheinsgehilfen ist § 168d nicht anwendbar, wie auch nicht auf staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Augenscheinseinnahmen, und zwar auch nicht entsprechend ( Meyer-Goßner/Schmitt , § 168d Rn 1; LR- Erb , § 168d Rn 3, 5). Bei diesen Augenscheinseinnahmen steht es im Ermessen des den Augenschein Einnehmenden, ob er dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet.Augenscheinsgehilfen ist § 168d nicht anwendbar, wie auch nicht auf staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Augenscheinseinnahmen, und zwar auch nicht entsprechend (Meyer-Goßner/Schmitt, § 168d Rn 1; LR-Erb, § 168d Rn 3, 5). Bei diesen Augenscheinseinnahmen steht es im Ermessen des den Augenschein Einnehmenden, ob er dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet.

Ein SV, der eine Augenscheinseinnahme durchführt, ist nicht verpflichtet von seinen Beweiserhebungen die Verfahrensbeteiligten zu benachrichtigen; er darf also z.B. Örtlichkeiten ohne Mitwirkung des Gerichts, des Beschuldigten oder des Verteidigers besichtigen (OLG Schleswig SchlHA 2010, 226 [Dö/Dr.].

 

Rdn 648

In Betracht kommt der richterliche Augenschein im EV z.B., wenn der (Ermittlungs-)Richter selbst eine Ortsbesichtigung machen oder an Experimenten und Versuchen, wie Fahrversuche (BGH VRS 16, 270, 273), Bremsversuche oder Rekonstruktionen des Tatverlaufs (BGH NJW 1961, 1486), teilnehmen will (zur Rekonstruktion des Tathergangs [von Tötungsdelikten] s. Hoppmann Krim 2002, 190).

 

☆ Bei diesen Konstellationen ist § 168c Abs. 4 zu beachten, da diese Besichtigungen häufig außerhalb des Ortes stattfinden, an dem sich der Beschuldigte in Haft befindet. Hier ist, wenn der Beschuldigte an dem Termin nicht teilnehmen, sondern z.B. wegen Fluchtgefahr ausgeschlossen werden soll, dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen ( Eisenberg , Rn 2243).Beschuldigte in Haft befindet. Hier ist, wenn der Beschuldigte an dem Termin nicht teilnehmen, sondern z.B. wegen Fluchtgefahr ausgeschlossen werden soll, dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen (Eisenberg, Rn 2243).

 

Rdn 649

3.a) Will der Richter b...

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