Rz. 30

& 1. Widerspruch als Zulässigkeitsvoraussetzung für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen

Gemäß § 68 VwGO ist vor der Erhebung einer Anfechtungsklage oder einer Verpflichtungsklage grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Hierzu ist gemäß § 69 VwGO ein Widerspruch zu erheben, und zwar innerhalb eines Monats, § 70 VwGO. Ein Vorverfahren entfällt jedoch

in den in § 68 bestimmten Ausnahmefällen sowie
in den Fällen, in denen Landesgesetze bestimmen, dass ein Vorverfahren entfällt.

Hier ist also die jeweilige Rechtslage in dem betreffenden Bundesland zu prüfen. Achtung, die Regelungen der einzelnen Bundesländer sind sehr unterschiedlich! Beispielsweise in NRW wurde im Jahre 2007 das Widerspruchsverfahren in weiten Bereichen abgeschafft, allerdings zunächst befristet. Mit Gesetz vom 9.12.2014 wurde das Widerspruchsverfahren für die Bereiche Kommunalabgaben, Straßenreinigung und Realsteuern wieder eingeführt. Für die anderen Bereiche bleibt es bei dem Grundsatz, wonach ein Vorverfahren nicht mehr stattfindet. Alles Nähere ergibt sich aus § 110 Justizgesetz NRW.

 

Rz. 31

& 2. Anhörungsverfahren

Die Anhörung ist nach § 28 VwVfG i.d.R. vorgeschrieben. Sie unterbleibt aber oft, weil die Heilungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 2 VwVfG besteht. Eine Heilung setzt nach Sinn und Zweck der Vorschrift jedoch voraus, dass die Behörde den Vortrag des Klägers nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch würdigt.

 

Rz. 32

& 3. a) Rechtsgebiete, in denen auch in NRW noch ein Vorverfahren durchzuführen ist

Die Formulierung des § 110 Justizgesetz NRW ist kompliziert. Wegen der Ausnahmen und Rückausnahmen ist beim ersten Durchlesen oft nicht klar, ob im Einzelfall ein Widerspruchsverfahren erforderlich ist oder nicht. Daher hier eine Übersicht:

Ein Vorverfahren ist gemäß § 110 Abs. 2 Justizgesetz NRW noch erforderlich beim Erlass oder der Verweigerung eines Verwaltungsaktes (VA), wenn

durch Bundesrecht oder EU-Recht ein Vorverfahren vorgeschrieben ist, also z.B. bei Bundesbeamten (siehe § 54 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz),
es um berufsbezogene Prüfungen geht,
der VA von einer Schule erlassen wird,
der VA von Ämtern für Ausbildungsförderung erlassen wird,
der VA vom WDR oder vom ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice (ehem. GEZ) erlassen wird sowie jetzt wieder bei Verwaltungsakten,
von einer Vollstreckungsbehörde nach § 2 VwVG NRW,
aufgrund KAG NRW oder StraßenreinigungsG NRW,
im Bereich der gemeindlichen Realsteuern,
im Bereich des Unterhaltsvorschussgesetzes, der Kinder- und Jugendhilfe, des Pflegewohngeldrechts, des Wohngeldrechts und der Wohnraumförderung,
im Bereich des Lebensmittel- und FuttermittelGB, des VerbraucherinformationsG, des TiergesundheitsG, des Tierische Nebenprodukte-BeseitigungsG und des TierschutzG.

Gemäß § 110 Abs. 3 S. 1 JustizG NRW ist ferner ein Vorverfahren durchzuführen, wenn ein Dritter durch den Erlass des einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt erstmalig belastet wird (Drittbeteiligung), aber siehe unten 3.b).

 

Rz. 33

& 3. b) Rechtsgebiete, in denen in NRW trotz Drittbeteiligung kein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist

Wegen der Rückausnahme gemäß § 110 Abs. 3 S. 2 JustizG NRW entfällt der Widerspruch jedoch trotz Drittbeteiligung (insbesondere von Nachbarn) in zahlreichen Fällen, von denen die gängigsten sind:

Erlaubnisse nach Gewerbeordnung
Erlaubnisse nach Gaststättengesetz
Baugenehmigungen
 

Rz. 34

& 4. Beamte

Für alle Klagen aus dem Beamtenverhältnis ist für Bundesbeamte die Durchführung eines Vorverfahrens vorgeschrieben, § 126 Abs. 2 BBG und § 54 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz.

Dagegen ist kein Widerspruchsverfahren mehr durchzuführen für Landesbeamte in NRW, außer es geht um berufsbezogene Prüfungen oder um Geldleistungen, § 110 Abs. 4 Justizgesetz NRW in Verbindung mit § 103 LBG NRW.

 

Rz. 35

& 5. Kostenerstattung und sonstige praktische Unterschiede aus anwaltlicher Sicht zwischen Verfahren mit und ohne Widerspruch

Das Widerspruchsverfahren hat auch Vorteile: Im Gegensatz zum Klageverfahren ist im Vorverfahren nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes nachzuprüfen, § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO. Argumentiert man gut und erreicht es, dass die Behörde einen Abhilfebescheid erlässt, so besteht zugunsten des Mandanten ein Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Behörde und grundsätzlich auch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Hierzu ist ein Antrag nach § 80 VwVfG erforderlich.

Wird lediglich ein Anhörungsverfahren durchgeführt, und gelingt es dabei, die Behörde zum Einlenken zu bewegen, hat der Mandant mangels gesetzlicher Regelung keinen Kostenerstattungsanspruch. Hierauf sollte der Mandant hingewiesen werden: Ist es dem Mandanten wichtig, die Chance auf Erstattung seiner Rechtsanwaltskosten zu wahren, sollte er den Anwalt erst für das Widerspruchsverfahren, und wenn ein solches nicht vorgesehen ist, für das Klageverfahren beauftragen. Möchte er dagegen versuchen, den belastenden Bescheid möglichst schnell aus der Welt zu schaffen, beziehungswe...

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