Rz. 40

Vorliegend handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren.[1] Ohne Anhaltspunkte für Messfehler genügen also die Angabe des verwendeten Messgerätes und des Eichdatums sowie der Abzug eines Toleranzwertes.[2] In den Polizeirichtlinien der Bundesländer finden sich z.T. konkrete Vorgaben; z.B. wird in Schleswig-Holstein derzeit bei Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h ein Abzug von 3 km/h bzw. 3 % gefordert – bei Geschwindigkeiten über 100 km/h 4 % oder unter Umständen bis zu 7 %.[3] Jedenfalls wenn Zweifel an der Eichung vorliegen, müssen hierzu weitere Feststellungen in den Urteilsgründen getroffen werden.[4]

Auch ist die Anfertigung der Fotos von Fahrer und Fahrzeug gedeckt von § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Denn ein Foto des Betroffenen und des Kraftfahrzeugs mit Kennzeichen wird bei dem hier eingesetzten Gerät Multanova VR 6F nur dann erstellt, wenn ein vom Bediener zuvor eingestellter und festgestellter Grenzwert erreicht oder überschritten wird. Andernfalls wird die Messung automatisch annulliert. Somit erfolgt eine automatische anlassbezogene Vorselektion.[5]

Ergibt sich, dass durch eine erkennbare Schrägstellung des betroffenen Fahrzeuges auf der Fahrbahn ein größerer Gierwinkel erzielt wird, als von der Betriebsanleitung gefordert, ändert dies nichts an der Ordnungsgemäßheit der Messung. Jedoch liegt dann kein standardisiertes Messverfahren mehr vor, sondern eine ordnungsgemäß verwendbare und auswertbare Individualmessung. Hier hat dann über die Verkehrsfehlergrenze hinaus ein weiterer Abzug zu erfolgen, welcher ggf. durch einen Sachverständigen zu errechnen ist.[6]

 

Rz. 41

Nachdem das Messverfahren einen aufmerksamen Messbetrieb erfordert, kommt es bei der Verteidigung maßgeblich auf die Einholung der möglichst vollständigen Unterlagen an, auf deren Grundlage sodann der Messbeamte im Rahmen der Hauptverhandlung zu befragen ist.

Es genügt also gerade nicht, die Ermittlungsakte während der richterlichen Befragung mitzulesen. Die Prüfpflicht des Gerichts ist begrenzt, die weitergehenden Einsichtsrechte der Verteidigung müssen von ihr bereits im Verwaltungsverfahren aktiviert werden.[7] Die Verteidigung hat sich daher rechtzeitig vorab um die nachfolgend aufgelisteten Unterlagen, siehe Rdn 44, zu bemühen. Verweigert die Behörde die Auskünfte, ist vorab ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 Abs. 1 OWiG zu stellen und bei Nichtabhilfe ein Aussetzungsantrag in der Verhandlung.[8]

Das Bundesverfassungsgericht hat in der oben zitierten Entscheidung zu Einsichtsrechten der Verteidigung ausdrücklich auf (bei der Behörde) vorhandene Daten abgestellt. Selbstverständlich steht es der Verteidigung zu, sich auch um Informationen bei anderen Stellen zu bemühen. Die Frage der nicht (mehr) vorhandenen Daten wurde hingegen in der Entscheidung nicht thematisiert. Nach der Systematik zum standardisierten Messverfahren ist das Fehlen und wohl auch die nachträgliche Löschung von Daten erst dann für das Tatgericht relevant, wenn die Verteidigung hierzu konkret vorträgt, inwiefern sich dies auf die jeweilige Messung ausgewirkt hat.[9]

Werden die vollständigen Unterlagen hingegen übermittelt, hat die Verteidigung in Kenntnis dieser – ggf. nach Einholung eines Privatgutachtens – den Messbeamten ausführlich zu befragen. Die Einstellung und Ausrichtung des Gerätes, die gebotene regelmäßige Kontrolle der Ausrichtung der Radarantenne, Kurvenmessungen etc. bieten Fragemöglichkeiten, um die Befolgung der Gebrauchsanweisung in Frage zu stellen und so zumindest einen höheren Toleranzabschlag oder eine Einstellung aus Opportunitätsgesichtspunkten zu bewirken. Deckt die Befragung im Rahmen der Hauptverhandlung Widersprüche auf, sind diese vorsorglich prozesskonform ins Verhandlungsprotokoll einzubringen. Wenn der Zeuge nämlich erst entlassen ist und das Gericht dennoch von der Richtigkeit der Messung überzeugt bleibt, ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung diesbezüglich verwehrt.

[1] OLG Köln, Beschl. v. 29.10.2001 – Ss 437/01 Z, Rn 19, juris = VRS 101, 373 = StraFo 2002, 17; OLG Hamm, Beschl. v. 14.6.2004 = DAR 2004, 596 = VRS 107, 209; OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.5.2011 – 2 SsBs 35/11, Rn 12, juris = VRR 2011, 161.
[2] Vgl. § 2 Standardisiertes Messverfahren.
[3] Vgl. die Übersicht im Anhang: dort bei Schleswig-Holstein unter Punkt 8. Toleranzabzüge.
[4] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.8.1993 – 5 Ss (OWi) 92/93 – (OWi) 54/93 I, juris = NZV 1994, 41 = DAR 1994, 38; OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.5.2011 – 2 SsBs 35/11, Rn 12, juris = VRR 2011, 161.
[5] OLG Bamberg, Beschl. v. 25.2.2010 – 3 Ss OWi 206/10, Rn 12, juris = DAR 2010, 279 = VRR 2010, 190; vgl. auch: OLG Hamm, Beschl. v. 11.3.2010 – III-5 RBs 13/10, Rn 18, juris = VRR 2010, 203; OLG Rostock, Beschl. v. 24.2.2010 – 2 Ss (OWi) 6/10 I 19/10, Rn 6, juris = VRS 118, 359.
[6] AG Essen, Urt. v. 25.11.2005 – 49 OWi 82 Js 1374/05 – 626/05, Rn 14, juris = DAR 2006, 344; AG Stollberg, Urt. v. 27.4.2009 – 2 OWi 550 Js 10913/08, Rn 22, juris = VA 20...

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