Rz. 45

Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss. Grundsätzlich hat es in der Sache selbst zu entscheiden (§ 69 Abs. 1 S. 1 FamFG). Eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht ist nur statthaft, wenn (§ 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG)

dieses in der Sache noch nicht entschieden hat (S. 2) oder
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückweisung beantragt (S. 3).
 

Rz. 46

In der Sache ist dann nicht entschieden worden, wenn der Antrag als unzulässig verworfen wurde. Der fehlenden Sachentscheidung wurde der Fall gleichgestellt, dass ein Elternteil seine ursprüngliche Zustimmung zum Alleinsorgeantrag des anderen Elternteils widerrufen hat, so dass sich zweitinstanzlich die Sachentscheidung nicht mehr nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB, sondern nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB richten würde.[122] Entscheidet das Familiengericht in der Sache nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, geht aus der Entscheidung aber nicht hervor, dass das Familiengericht auch nach § 1671 Abs. 4 BGB geprüft hat, ob nach einer anderen Vorschrift eine abweichende Sorgerechtsregelung geboten ist, obwohl für Letzteres Anhaltspunkte in den Akten bestehen, so soll dies in der Sache lediglich eine Teilentscheidung darstellen, die der fehlenden Sachentscheidung i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG gleichzustellen ist.[123] Beide Entscheidungen überdehnen indes den Anwendungsbereich von § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG deutlich. Ergibt allerdings die Prüfung des Rechtsmittelgerichts, dass verfahrensfehlerhaft ein Verfahrensbeistand nicht hinzugezogen und das Kind demnach nicht ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt worden ist, so ist diesem gegenüber auch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden, so dass die erstinstanzliche Entscheidung auch ohne Antrag aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden kann (§ 69 Abs. 1 S. 2 FamFG).[124]

 

Rz. 47

Das weitere Verfahren ist im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG umfangreich, wenn sich das Beschwerdegericht im Falle einer eigenen Sachentscheidung voraussichtlich zuvor durch persönliche Anhörungen einen umfassenden Eindruck von den Beteiligten verschaffen müsste. Dies gilt umso mehr, wenn – wie regelmäßig – Anhaltspunkte für ein noch nicht absehbares Ausmaß weiter notwendig werdender Ermittlungen vorliegen, um eine hinreichende Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Grundsätzlich sind daher in Kindschaftssachen keine zu hohen Anforderungen an eine Zurückverweisung zu stellen.[125] Etwas anderes mag dann gelten, wenn das Vorrang- und Beschleunigungsgebot (§ 155 Abs. 1 FamFG, siehe dazu § 1 Rdn 393) nach einer anderen Betrachtung verlangt und einer Zurückverweisung entgegensteht, wobei die bisherige Gesamtverfahrensdauer und der konkrete Verfahrensgegenstand samt seiner Eilbedürftigkeit in den Blick zu nehmen sind.[126]

 

Rz. 48

Zu beachten ist, dass sich die Beschwerdeentscheidung – unbeschadet des weithin nicht geltenden Verschlechterungsverbots (siehe dazu Rdn 6) – im Rahmen des Verfahrensgegenstandes halten muss. Denn der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens richtet sich grundsätzlich nach und wird begrenzt durch den Verfahrensgegenstand, über den im ersten Rechtszug entschieden wurde und gegen den sich die Beschwerde wendet (dazu eingehend mit Beispielen, siehe § 7 Rdn 14).[127] Das steht allerdings dem Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs über das Umgangsrecht oder die Herausgabe eines Kindes (§ 156 Abs. 2 FamFG) in einem sorgerechtlichen Beschwerdeverfahren nicht entgegen (siehe dazu § 2 Rdn 246). Wird – ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 1671 Abs. 4 BGB – einem Elternteil erstinstanzlich die Alleinsorge übertragen, obwohl er nur eine Teilübertragung erstrebt hat, so kann dieser Verstoß gegen § 1671 Abs. 1 BGB im durch den anderen Elternteil eingeleiteten Beschwerdeverfahren dadurch geheilt werden, dass der antragstellende Elternteil auf Zurückweisung der Beschwerde anträgt. Denn damit macht er sich die angefochtene Erkenntnis zu Eigen, was als sachdienliche und zulässige Antragserweiterung anzusehen ist.[128]

 

Rz. 49

Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen (§ 69 Abs. 2 FamFG). Dies stellt eine Abkehr vom Regierungsentwurf dar, wonach der Beschluss lediglich begründet werden "sollte" und eine zwingende Begründung nur für den Fall der Zulassung der Rechtsbeschwerde vorgesehen war. Durch die nunmehr geltende Begründungspflicht soll die Akzeptanz der Entscheidung gestärkt werden.[129] Hinzu kommt, dass eine fehlende Begründung Unklarheiten im Abänderungsverfahren nach § 1696 Abs. 1 BGB zur Folge haben kann. Zum Umfang der Begründung ergeben sich aus dem Gesetz keine weiteren Vorgaben, er ist einzelfallabhängig und steht im Ermessen des Beschwerdegerichts.

 

Rz. 50

Das Beschwerdegericht hat eine Kostenentscheidung zu treffen (§§ 81 Abs. 1 S. 3, 82 FamFG), die sich nach den §§ 81, 83 und 84 FamFG richtet.

 

Rz. 51

Die Zulässigkeit der ...

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