Rz. 28

Hier geht es um die Interessen der Medianten, um die Motive hinter dem Streit. Es geht darum, die verborgenen Interessen herauszuarbeiten. Den Medianten wird die Gelegenheit eingeräumt, einmal alles zu sagen, was sie auf dem Herzen haben, auch wieder im Rahmen eines "Ping-Pong"-Spiels. Der eine fängt an, der andere führt fort. In der Phase 3 werden Gefühle abgefragt und Bedürfnisse herausgearbeitet. Denn gerade bei Schwerstgeschädigten ist es oftmals so, dass ein direktes Aufeinandertreffen von Schädiger und Geschädigtem sehr emotional ist und es mitunter ein elementares Bedürfnis des Geschädigten ist, dass der Schädiger sich entschuldigt. Dies ist ein erheblicher Vorteil gegenüber einem streitigen Verfahren, in dem es in der Regel rein um Ansprüche und nicht um Gefühle und Bedürfnisse der Betroffenen selbst geht. Oftmals führt dies zu einer Verbitterung, in der jeder nur versucht, den anderen durch seine Maximalforderungen zu ärgern und mehr Öl ins Feuer zu gießen, anstelle eine tragfähige gemeinsame Lösung in der schwierigen Situation zu erarbeiten. In der Phase 3 kommt es zum Rollentausch. Die Medianten versetzen sich in die Lage des jeweils anderen und versuchen, dessen Gefühle und Bedürfnisse nachzuvollziehen.

 

Rz. 29

Wie wichtig es ist, die wahren Interessen und Motive hinter einem Problem zu erarbeiten, soll anhand eines Lehrbuchbeispiels erläutert werden. Es streiten sich zwei Menschen vor Gericht um eine Orange. Beide sagen, dass sie unbedingt diese Orange haben wollen. Der Richter fragt, ob sie sich auch vorstellen könnten, dass jeder nur eine halbe Orange erhalte, sodass eine Lösung gefunden werden kann. Beide negieren das. Jeder will alles haben. Eine halbe Orange sei zu wenig. Der Richter kann dann nur eine Entscheidung im Sinne eines Nullsummenspiels treffen und dem einen die Orange geben und dadurch dem anderen die Orange wegnehmen. Ein Mediator kann dagegen nach den eigentlichen Interessen hinter diesem Streit fragen und die Medianten befragen, wofür sie jeweils die Orange benötigen. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass die eine Person, die ganze Orange benötigt, um Saft zu pressen und die andere Person die ganze Orange benötigt, um einen Kuchen mit der Schale der Orange zu backen. Verwenden beide die Orange nacheinander erhält jeder alles, was er möchte. Dieses Beispiel soll zeigen, dass eine scheinbar aussichtslose, unlösbare Situation in der Mediation zu einem sehr befriedigenden, auch in ökonomischer Hinsicht sinnvollen Ergebnis führen kann.

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