Rz. 133

In den Fällen, in denen ein Ehegatte nicht ausgleichsreife Anrechte nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 erworben hat, findet ein Wertausgleich bei der Scheidung auch in Bezug auf die anderen – eigentlich ausgleichsreifen – Anrechte beider Eheleute nicht statt, soweit dies für den anderen Ehegatten unbillig wäre (§ 19 Abs. 3 VersAusglG). Die fehlende Ausgleichsreife eines oder mehrerer (ausländischer) Anrechte wirkt also als Ausgleichssperre, damit unbillige Ergebnisse für den anderen Ehegatten vermieden werden können.

 

Rz. 134

Diese Ausgleichssperre ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Es bedarf weder eines Antrags, noch steht dem FamG ein Ermessen zu. Die Bezugnahme auf die Unbilligkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, nicht die Eröffnung eines Entscheidungsspielraums. Ob und wieweit es zur Anwendung des § 19 Abs. 3 VersAusglG kommt, ist eine Einzelfallentscheidung, welche die Besonderheiten des Kriteriums der Ausgleichsreife berücksichtigt. Andere Härtegründe sind allein über § 27 VersAusglG zu berücksichtigen.

 

Rz. 135

Unbilligkeit liegt nach dem Normzweck nur dann vor, wenn

die bei einem ausländischen Versorgungsträger erworbenen Anrechte des einen Ehegatten, die nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG nicht ausgleichsreif sind, einen hohen Ausgleichswert haben[78] oder gänzlich unklar ist, in welcher Höhe im Ausland Anrechte bestehen,[79]
der andere Ehegatte inländische, an sich bei der Scheidung auszugleichende Anrechte in nicht geringer (§ 18 VersAusglG) Höhe hat,[80]
wegen der Verweisung der ausländischen Anrechte in den schuldrechtlichen Ausgleich die Gefahr der mangelnden Realisierung des Ausgleichs besteht.
 

Rz. 136

Andere Unbilligkeitsgründe werden nur durch § 27 VersAusglG erfasst.[81]

 

Rz. 137

In Betracht kommt § 19 Abs. 3 VersAusglG also nur dann, wenn ein Ehegatte in der Ehezeit erhebliche Anwartschaften bei einem ausländischen Versorgungsträger erworben hat, die (nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG) nicht ausgleichsreif sind, der andere aber (nur) Anrechte, die an sich ausgleichsreif wären, v.a. Anwartschaften in der (deutschen) gesetzlichen Rentenversicherung. Es wäre unbillig, wenn dieser Ehegatte durch die Teilung des von ihm erworbenen Anrechts die Hälfte seiner ehezeitlichen Versorgung verlöre und gleichzeitig wegen seiner Teilhabe an den ausländischen Anrechten des anderen Ehegatten auf die schwächeren schuldrechtlichen Ausgleichsansprüche nach der Scheidung angewiesen wäre.

 

Rz. 138

 

Beispiel

Während der Ehezeit hat M im Wesentlichen im Ausland gearbeitet. Er hat in Frankreich Rentenanwartschaften in der französischen gesetzlichen Rentenversicherung i.H.v. 500 EUR mtl. erworben. Daneben hat er eine private Rentenversicherung in Großbritannien, deren Ehezeitanteil sich auf 30 EUR Monatsrente beläuft, sodass ein Ausgleichswert von lediglich 15 EUR anzunehmen ist. Seine Frau F hat während der Ehezeit nur in Deutschland gearbeitet und Rentenanrechte in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung i.H.v. 1500 Entgeltpunkten erworben.

Im Versorgungsausgleich bei der Scheidung sind die Anrechte von M in der französischen Rentenversicherung nicht ausgleichsreif, weil es sich um Anrechte bei einem ausländischen Versorgungsträger handelt (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG). Sie werden deswegen bei der Scheidung nicht ausgeglichen, sondern werden erst dann, wenn M Versorgungsleistungen aus ihnen bezieht, im Ausgleich nach der Scheidung ausgeglichen (§§ 19 Abs. 4, 20 ff. Vers­AusglG). Das Anrecht in der Lebensversicherung in Großbritannien ist ebenfalls ein solches nicht ausgleichsreifes Anrecht. Insofern ist aber zu berücksichtigen, dass der Ausgleichswert außerdem unter dem Schwellenwert des § 18 Abs. 3 VersAusglG liegt, sodass in Bezug auf dieses Anrecht nicht nur kein Ausgleich bei der Scheidung, sondern gar kein Versorgungsausgleich stattfindet. Die Anrechte von F in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung wären ohne § 19 Abs. 3 VersAusglG ohne Weiteres im Ausgleich bei der Scheidung auszugleichen – und zwar durch interne Teilung nach §§ 10 ff. VersAusglG. Im Ergebnis bedeutete das, dass F die Hälfte ihrer Anrechte abgeben müsste, ohne dafür in diesem Moment jedoch irgendeinen Ausgleich zu erhalten. Diese Lösung wäre für sie sehr nachteilig; denn ob sie im schuldrechtlichen Ausgleich jemals irgendetwas von den Anrechten von M erhalten wird, ist durchaus zweifelhaft, denn das setzt (u.a.) voraus, dass M überhaupt in die Situation kommt, aus diesen Anrechte eine Rente zu beziehen (vgl. § 20 Abs. 1 VersAusglG).

§ 19 Abs. 3 VersAusglG führt in dieser Situation dazu, dass ein Versorgungsausgleich in Bezug auf die Anrechte von F bei der Scheidung ebenfalls nicht stattfindet. Ihre Anrechte liegen im Ausgleichswert unter denjenigen von M. Deswegen widerspräche es der Billigkeit, ihr die Hälfte ihrer Anrechte zu nehmen, ohne dass sie dafür zum Ausgleich irgendetwas bekäme. Auch ihre an sich im Ausgleich bei der Scheidung auszugleichenden Anrechte in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung sind deswegen au...

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