A. Einführung

 

Rz. 1

Das neue BBiG ist am 1.1.2020 in Kraft getreten u.a. mit dem Ziel, neben der Einführung einer Mindestausbildungsvergütung transparentere Fortbildungsstufen für die höherqualifizierende Berufsbildung einzuführen, um die Gleichwertigkeit von beruflicher Fortbildung und Studium dadurch sichtbar zu machen. Diese Novellierung betrifft jedoch nicht das Kündigungsrecht. Die Vorschriften zur Kündigung befinden sich seit dem am 1.4.2005 neu in Kraft getretenen Berufsbildungsreformgesetz BBiG in § 22.

 

Rz. 2

Im Jahr 2020 betrug die Anzahl der Auszubildenden in Deutschland 1.288.962. Davon wurden nach den Ergebnissen der Berufsbildungsstatistik bundesweit insgesamt 137.784 Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst. Dem Berufsbildungsbericht 2022 ist – wie den Vorberichten – zu entnehmen, dass Auszubildende mit vorzeitig gelöstem Vertrag Gründe wie Konflikte mit Ausbilderinnen/Ausbildern und Vorgesetzen, eine mangelnde Ausbildungsqualität, ungünstige Arbeitsbedingungen, aber auch persönliche und gesundheitliche Gründen sowie falsche Berufsvorstellungen nennen. Betriebe führen überwiegend mangelnde Ausbildungsleistungen der Auszubildenden, wie auch deren mangelnde Motivation oder Integration in das Betriebsgeschehen sowie falsche Berufsvorstellungen als Gründe an.[1]

[1] Berufsbildungsbericht 2022, www.bmbf.de.

B. Einvernehmliche Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses

 

Rz. 3

Ein Berufsausbildungsverhältnis kann grundsätzlich einvernehmlich durch schriftlichen Aufhebungsvertrag beendet werden.[2] Nach der Rspr. des BAG ist die vertraglich vereinbarte Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zulässig und nicht durch Kündigung – oder Kündigungsschutzvorschriften – ausgeschlossen.[3] Durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages lassen sich Streitigkeiten über die Folgen einer vorzeitigen Ausbildungsbeendigung regelmäßig vermeiden.

[2] Allg. M., vgl. Herkert, § 14 Rn 1f; Weber, § 14 Anm. 1; Bauer, Rn 308; Große, BB193, 2081; Schaub/Vogelsang, § 174 Rn 111; Wohlgemuth/Pepping, § 22 Rn 108; Lakies/Malettke/Lakies, § 21 Rn 7; BeckOK-ArbR/Hagen, § 21 Rn 17; Benecke/Hergenröder, § 22 Rn 20.
[3] Vgl. BAG v. 19.12.1974, AP Nr. 3 zu § 620 Beendigung; BAG v. 13.12.1984, DB 1985, 1026 = BB 1985, 930; LAG Rheinland-Pfalz v. 27.3.2016, BeckRS2016, 71577.

I. Zulässigkeit des Aufhebungsvertrags

 

Rz. 4

Dem Grundsatz der Vertragsfreiheit in den §§ 241, 305 BGB lässt sich entnehmen, dass die Vertragsparteien ein bestehendes vertragliches Schuldverhältnis durch Vereinbarung eines neuen Vertrages beenden können. Dieser Grundsatz wird auch auf Berufsausbildungsverhältnisse angewendet.[4]

 

Rz. 5

Solange dieser Aufhebungsvertrag zwingende Kündigungsvorschriften nicht umgeht, was der Fall wäre, wenn der Zweck einer unabdingbaren Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden,[5] bleibt er zulässig. Ebenso wie § 626 BGB ist § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, nach dem ein Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit, von dem Fall der Berufsaufgabe abgesehen, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, zwingendes Recht.[6] Insofern darf auch der für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung erforderliche wichtige Grund nicht durch besondere vertragliche Gestaltungen beseitigt oder eingeschränkt und dadurch die dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung liegende Schutzvorschrift umgangen werden. Dies ist nach Auffassung des BAG dann anzunehmen, wenn das Ausbildungsverhältnis enden soll, sobald das Zeugnis des Auszubildenden in einem Fach die Note "mangelhaft" erreicht.[7]

 

Rz. 6

Da der Aufhebungsvertrag gerade im Ausbildungsverhältnis Rechtsfolgen auslöst, die bisweilen erhebliche Nachteile für den Auszubildenden darstellen, ist umstritten, ob den Arbeitgeber und Ausbilder eine umfassende Hinweis- und Aufklärungspflicht hinsichtlich dieser Nachteile trifft. Das BAG geht hier von einer restriktiven Aufklärungspflicht des Arbeitgebers aus und vertritt die Auffassung, dass sich der Arbeitnehmer vor Abschluss des Aufhebungsvertrages grundsätzlich selbst Klarheit über die rechtlichen Folgen verschaffen müsse, wenn er die Beendigung von diesen Folgen abhängig machen wolle.[8] Hinweispflichten können deshalb nur in engen Grenzen angenommen werden.[9] In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung[10] und der Literatur[11] wird demgegenüber die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber müsse alles dafür tun, eventuelle Schäden, die dem Arbeitnehmer durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages entstehen können, abzuwenden. Insbesondere dann, wenn der Anstoß zum Abschluss des Aufhebungsvertrages vom Ausbilder ausgegangen ist.[12]

[4] Jagenlauf, BB 1970, 1356. Schaub/Vogelsang, § 174 Rn 111; Wohlgemuth/Pepping, § 22 Rn 108; Lakies/Malottke/Lakies, § 21 Rn 7.
[5] Müller, S. 116; Opolony, BB 1999, 1708; Wohlgemuth/Pepping, § 22 Rn 101.
[6] BAG v. 13.12.1984, DB 1985, 1026 = BB 1985, 930.
[7] BAG v. 13.12.1984, DB 1985, 1026 = BB 1985, 930.
[8] BAG v. 10.3.1988, DB 1988, 2006; BAG v. 13.11.1996, NZA 1997, 390, 392.
[9] Wißkirchen/Worzalla, DB 1994, 577.
[10] ArbG Freiburg v. 20.6.1991, DB 1991,...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge