Rz. 92

Das Vermächtnis ist (nach deutschem Verständnis) ein schuldrechtlicher Anspruch, der im Falle des Sachvermächtnisses auf Übertragung eines bestimmten Nachlassgegenstands gerichtet ist (§ 2174 BGB). Der Vermächtnisnehmer muss nur den Vermächtnisgegenstand der Besteuerung unterwerfen. Der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft können das Vermächtnis als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Während Teilungsanordnungen nach dem bisherigen Verständnis für die Besteuerung irrelevant sind (siehe Rdn 88 ff.), kann durch die Einschaltung von Vermächtnissen in internationalen Erbfällen eine Besteuerung möglicherweise (teilweise) vermieden werden.

 

Beispiel:

Der künftige Erblasser E plant seine Nachfolge. Er möchte seinen Sohn S und seine Tochter T in gleicher Weise begünstigen. Die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland liegen nur für S vor. Für E und T liegen in Deutschland nur die Voraussetzungen für eine beschränkte Steuerpflicht vor. Das Vermögen von E, das ausschließlich aus Grundbesitz besteht, befindet sich jeweils zur Hälfte in Deutschland, zur Hälfte im Ausland. S soll später den in Deutschland belegenen Grundbesitz, T den im Ausland belegenen Grundbesitz erhalten. Da eine Teilungsanordnung dazu führt, dass S als unbeschränkt Steuerpflichtiger entsprechend seiner Erbquote das Weltvermögen und T entsprechend ihrer Erbquote im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zumindest den im Deutschland belegenen Grundbesitz versteuern muss (siehe vorstehendes Beispiel, Rdn 88), soll keine Miterbeneinsetzung erfolgen, sondern ein Kind als Alleinerbe und das andere Kind als Vermächtnis den ihm zugedachten Grundbesitz erhalten.

Lösung: Um eine hälftige Besteuerung des im Ausland belegenen Vermögens zu vermeiden, wird S Alleinerbe. T erhält das im Ausland belegene Vermögen als Vermächtnis ausgesetzt. S muss zwar als Alleinerbe den gesamten Weltnachlass versteuern, kann allerdings den Wert des der T als Vermächtnis ausgesetzten, des im Ausland belegenen, Grundbesitzes als Nachlassverbindlichkeit abziehen, so dass er im Ergebnis nur den in Deutschland belegenen Grundbesitz versteuern muss. T muss das Vermächtnis in Deutschland nicht versteuern, da sie nur beschränkt steuerpflichtig ist und (auch) der im Ausland belegene Grundbesitz kein Inlandsvermögen darstellt, das die Voraussetzungen des § 121 BewG erfüllt.

 

Rz. 93

Würde in Abwandlung zur vorstehenden Lösung nicht der unbeschränkt steuerpflichtige Sohn S, sondern die nur beschränkt steuerpflichtige Tochter T Alleinerbin und müsste den in Deutschland belegenen Grundbesitz herausgeben, ergibt sich u.E. keine Änderung bei der inländischen Besteuerung. T würde das Weltvermögen erben, müsste allerdings im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht "nur" den in Deutschland belegenen Grundbesitz als Inlandsvermögen versteuern. Diesen Grundbesitz muss sie allerdings als Vermächtnis an den unbeschränkt steuerpflichtigen S herausgeben, der diesen versteuern müsste. Bei dieser Konstellation könnte sich die Frage stellen, ob T den Wert des als Vermächtnis herauszugebenden Grundbesitzes als Nachlassverbindlichkeit von dem beschränkt steuerpflichtigen Erwerb abziehen könnte. Hiergegen könnte die Regelung des § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG sprechen, wonach beschränkt Steuerpflichtigen nur ein beschränkter Schuldenabzug zusteht. Abgezogen werden dürfen nämlich nur die mit dem Inlandsvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden und Lasten. Es stellt sich daher die Frage, ob die Vermächtnisverbindlichkeit in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem beschränkt steuerpflichtigen Erwerb steht. Dies ist – soweit ersichtlich – noch nicht abschließend geklärt. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es zwar nicht ausreichend, dass zwischen einer Schuld und dem steuerpflichtigen Erwerb nur ein rechtlicher Zusammenhang besteht;[78] ein Abzug ist allerdings dann möglich, wenn die Schuld das Inlandsvermögen belastet.[79] Im vorliegenden Fall ist offensichtlich das Inlandsvermögen belastet, da dies vollständig an den Vermächtnisnehmer herausgegeben werden muss. Dies Ergebnis stimmt auch mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes überein. Während das Schuldenabzugsverbot dazu dient, eine Besteuerung zumindest des beschränkt steuerpflichtigen Vermögens zu erreichen, bleibt das Besteuerungsrecht im vorliegenden Fall erhalten, weil der Vermächtnisnehmer sogar dann, wenn er nur beschränkt steuerpflichtig wäre, selbst den gesamten Vermächtniserwerb versteuern müsste. Ein anderes Ergebnis wäre im Übrigen mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift zum Schuldenabzugsverbot nicht vereinbar. Würde der Schuldenabzug nämlich versagt, würde der inländische Grundbesitz im Ergebnis bereits in Deutschland zweimal besteuert.

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