Rz. 290

Vernichtet der Erblasser die Testamentsurkunde mit Widerrufswillen, so liegt darin ein wirksamer Widerruf (bspw.: Zerreißen, Verbrennen).

 

Rz. 291

Hatte der Erblasser die Urkunde bis zuletzt in Gewahrsam, so spricht der erste Anschein dafür, dass er selbst gehandelt hat.[371] Wird ein Testament durch einen Dritten ohne Auftrag des Erblassers oder durch den Erblasser versehentlich vernichtet, so bleibt es wirksam, denn es fehlt der Widerrufswille. Für den Inhalt trägt derjenige die Beweislast, der Rechte daraus herleitet.[372]

Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben. An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann.[373]

Die Widerrufshandlung kann, da sie willensgetragen sein muss, nach den Grundsätzen der §§ 2078 ff. BGB angefochten werden.

 

Rz. 292

 

Beispiel

E hat ein privatschriftliches Testament errichtet und bewahrt es in seiner Schreibtischschublade im Wohnzimmer auf. Bei einem Zimmerbrand wird der Schreibtisch samt Inhalt vollständig zerstört. Das Testament ist damit nicht widerrufen.

 

Rz. 293

Ein mittels Durchstreichens widerrufenes Testament kann jedoch zur Auslegung eines späteren, unvollständig gebliebenen Testaments herangezogen werden, wenn der Erblasser dieses Testament gemeinsam mit dem widerrufenen Testament in einem Umschlag verschlossen und aufbewahrt hat.[374]

 

Rz. 294

Voraussetzung für jeden Widerruf ist ein Widerrufswillen. Dieser liegt hier nicht vor. Deshalb ist das Testament, obwohl es körperlich nicht mehr existiert, nach wie vor inhaltlich vorhanden und würde nach dem Tod von E auch gelten. Die formwirksame Errichtung und sein Inhalt müssten durch allgemeine Beweismittel (bspw. durch Zeugen oder die Vorlage einer Abschrift) bewiesen werden.

 

Rz. 295

Es gibt keine Vermutung für die Vernichtung eines Testaments durch den Erblasser bei Nichtauffindbarkeit des Testaments. Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde begründet keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet worden ist. Es müssen Indizien vorliegen, beispielsweise der Nachweis einer Willensänderung des Erblassers, um im Zusammenhang mit der Nichtauffindbarkeit des Testaments den Beweis der Vernichtung i.S.d. § 2255 BGB zu erbringen.[375]

[371] BayObLGZ 1983, 208.
[372] BayObLG FamRZ 1986, 1045; BayObLG ZErb 2003, 154; OLG Frankfurt ZErb 2002, 49.
[373] OLG München ErbR 2020, 109 = FamRZ 2020, 466 = ZEV 2020, 162.
[374] BayObLG FGPrax 2005, 26 = NJW-RR 2005, 525 = ZEV 2006, 33; vgl. auch Scherer/Lehmann, ZEV 2005, 321.
[375] LG Duisburg NJW-RR 2005, 885 = ZEV 2006, 35.

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